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Sierra de Loja

Irgendwann im Frühjahr 2021, geflüchtet vor den völlig absurden Ideen bundesdeutscher Politiker, sitze ich über meinen andalusischen Routenplanungen mit Google Maps und bemerke nur etwa zwanzig Kilometer nördlich ein riesiges Areal ohne Ortschaften und Strassen. Google behauptet steif und fest, es gäbe hier keine Besiedlung, keine Landstrasse, keine routingfähigen Wege. Diese ausgedehnte Sierra misst so um die 22 mal 18 Kilometer, also knapp 400 Quadratkilometer und ich habe keine Ahnung, was sich dort tatsächlich befindet.

Kann das sein? Ein Männer-Sandkasten-Spielplatz, weniger als eine Stunde vor meiner Haustür? Ist es das, was ich vermute? Verlassene Schotterpisten, die nur auf eine Reiseenduro warten?

Die Quelle meiner ganzen Neugier liegt etwas nördlich des kleines Ortes Zafarraya und ich kenne zumindest den Ausgangspunkt ganz gut. Die Orte Zafarraya und Ventas de Zafarraya liegen auf etwa 1.000 Metern über dem Meeresspiegel und da kann es selbst in Spanien schon mal frisch werden. So schiebe ich die Erkundungstour zunächst auf den andalusischen Frühsommer und starte meinen Kurztrip Anfang Mai 2021.

Eigentlich müsste das Gebirge „Sierra de Loja“ und „Sierra Gorda“ heissen. Ich habe es aber bis heute nicht geschafft herauszufinden, wo die Grenzen dieser beiden Sierras verlaufen. Aber egal: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bin ich durch beide gefahren und möchte dir diesen feinen Flecken Erde nicht vorenthalten. Vielleicht hast du mal Lust auf eine schöne Gegend? Vielleicht kommst du mal hier runter und brauchst einen Offroad-Tagestipp?

Da sich die Anfahrt sowohl von Malaga, als auch von meinem Zuhause innerhalb einer Stunde erledigen lässt, suche ich mir einen schönen, terminfreien Morgen mit kuscheligen 23 Grad und blauem Himmel.

In Sichtweite habe ich noch einen Berg, den ich immer schon mal erklimmen wollte und von dem ich relativ sicher war, dass es einen Weg hinauf gibt.

Das ist hier unten in Südspanien so:

Du weisst nie wirklich ob es klappt, bevor du es nicht selbst erfahren hast. Anders als in Deutschland enden Wege hier auch mal im Nichts und weder Google, noch OpenStreetMaps können dir mit Sicherheit sagen, was als Nächstes passiert.

Nur eines weiss man immer: Andalusien ist GS-Land!

Ich mache es kurz: Der Weg war keine Sackgasse und auf 500 Metern über dem Meeresspiegel gab es eine weitere Gelegenheit für ein Guten-Morgen-Foto.

Aber weiter gehts, zum Einstiegspunkt nach Zafarraya, wo ausgedehnte Gemüseplantagen das Einkommen der Spanier sichern, die nicht vom Tourismus in Küstennähe leben.

Mein Motorradnavi hat mir bis zu einer Kreuzung nördlich des Ortes geholfen, aber dann ist Schluss. Die Strasse bis hierher hatte immerhin noch eine Asphaltdecke, aber nun beginnt auch schon die Schotterstrecke, sehr zu meiner Freude.

Ich drehe mich nochmal um und sehe die Hochebene mit ihren weiten Feldern und bin mir recht sicher, dass ein Teil der Früchte hier in Kürze auch in deutschen Supermärkten liegen wird.

Die beiden Gebirge „Sierra Loja“ und „Sierra Gorda“ erstrecken sich den Kartendaten zur Folge zwischen 1.000 und 1.400 Höhenmetern. Ich gehe mal davon aus, dass ich hier heute den Tag verbringen werde, was mir ein breites Grinsen ins Gesicht treibt.

Keine Viertelstunde später ist auch schon Schluss mit befestigten Wegen, Strassen, Gebäuden, Menschen, Fahrzeugen und Mobilfunkempfang.

Ich sehe etwas entfernt noch ein letztes, abgelegenes Cortijo (Spanisch: Bauernhof), dann bin ich mit Felsen, Sonne und Wind alleine.

Mangels Kartendaten fahre ich einfach der Nase entlang und richte mich im Wesentlichen nach der groben Himmelsrichtung. Es ist ja auch nicht so, dass man sich hier in der Sahara befindet. Selbst das spanische Festland wäre irgendwann zu Ende. Du darfst einfach nur fahren und dich überraschen lassen, wo du endest. Es ist die reine Freude, stundenlang alleine kreuz und quer zu fahren.

Meine einzige Sorge im Moment ist: Was passiert, wenn der kleine Hunger kommt?

Kurz nach einer Stelle, an der ich im entsprechenden Abstand eine Schafherde kreuzen lasse…

…endet die Fahrt an einem geschlossenen Tor. Wie blöd! Ist hier etwa schon Feierband mit der Schotter-Glückseligkeit?

Links und rechts vom Tor laufen die Zäune entlang bis zum Horizont, daher vermute ich, dass es sich nur um die Eingrenzung der Schafherden handelt. Ich öffne den Riegel, fahre die GS durch das Tor und schliesse es wieder ordentlich.

Weiter geht es in den Motorradhimmel und ich kann mich nicht erinnern, in Deutschland auch nur eine Gegend zu kennen, die Offroadpisten in einer solchen Ausdehnung bietet. Naja, und vom Wetter wollen wir mal gar nicht erst reden…

Selbst hier oben fällt das Thermometer heute nicht unter 23 Grad, was für mich eine ideale Motorrad-Temperatur ist. Die einzigen Dinge, die ich heute Morgen eingepackt hatte sind zwei Liter Wasser, meine Kamera und die Werkzeugrolle mit Reifen-Flickzeug für alle Fälle.

Gegen Mittag erscheint eine der schönsten Aussichten am Horizont.

Die Gipfel der Sierra Nevada sind jetzt, Anfang Mai, noch mit einer Schneehaube überzogen und meistens bleibt ganz oben der Schnee auch noch bis Juni liegen. Dort am Horizont liegt er auf knapp dreieinhalbtausend Metern.

Zurück zur hiesigen, glücklicherweise schneefreien Sierra: Ich befinde mich zwischenzeitlich auf 1.300 Metern und die Vegetation nimmt deutlich ab, was der Schönheit der Berge hier keinen Abbruch tut.

Was ich ausserdem sehr schätze ist die Ruhe. Es ist nicht ungewöhnlich, hier stundenlang in völliger Einsamkeit zu fahren, kein Verkehr, keine Verbote, keine Restriktionen.

Hier kannst du einfach stundenlang fahren und geniessen. Ich denke, es wird für diese Ecke auch passendes Kartenmaterial geben, aber manchmal ist es genauso schön, die Maschine einfach laufen zu lassen.

Ab und zu kommt man an Stellen, wo sich der Weg gabelt. Es ist praktisch unmöglich, mit hinreichender Sicherheit die richtige Route auszuwählen, aber das ist auch zweitrangig.

Beim letzten Abzweig habe ich die falsche Richtung gewählt und finde mich etwa fünf Kilometer weiter am Beginn einer grünen Wiese wieder, die mir das nächste Cortijo ankündigt. Das muss das östliche Ende der Sierra sein und ich drehe daher wieder um und versuche die andere Piste.

Sie endet nach einigen Kilometern mal wieder…

…an einem geschlossenen Tor, das etwas schief im Wind hängt und nicht den Eindruck vermittelt, es würde besonders häufig geöffnet.

Irgendwer hat das alte Gitter notdürftig mit einem Seil gesichert. Die Schilder besagen, hier beginnt ein privates Jagdgebiet und ich frage mich, für wen? Variante A: Jäger schiessen auf Hasen und Steinböcke (Beide Ziele wären hier plausibel!), Variante B: Geländeenduristen jagen über Stock und Stein. Ich entscheide mich für Möglichkeit „B“!

Die nächste Abwechslung verspricht ein Steinbruch in der Ferne.

Leider haben sie die Zufahrt mit grossen Steinquadern versperrt. Zudem kündigt das Warnschild am Eingang von diversen Gefahren, inklusive Sprengungen. Das Areal sieht mir zwar eher verlassen aus, aber ich will es auch nicht darauf ankommen lassen.

Aber: Ich geniesse mal wieder jeden Meter abseits befestigter Strassen, abseits jeglicher Infrastruktur.

Schau dir die Gegend hier an. Das ist einfach nur fantastisch. Du hältst zwischendurch an und bist vollkommen allein in einer atemberaubenden Landschaft. So könnte ich stundenlang fahren, staunen und fotografieren.

Ich meine, es gibt Stellen, an denen bist du als folgsamer Deutscher Bürger unschlüssig, ob hier jetzt das Ende der Piste ist und drehst um. Sofern du dich allerdings in Südspanien befindest, darfst du deine Entscheidung ruhig nochmal überdenken. Das ist es, was ich (neben sehr vielen anderen Dingen) hier so liebe.

Es gibt viel mehr Freiheiten und die Menschen setzen eher auf Eigenverantwortung, als auf unzählige Verbote. Ich sehe hier oben keinen Müll, keine herumliegenden Plastikflaschen oder Fastfood-Verpackungen (wobei es hier natürlich weit und breit auch keinen MacDonalds gibt…). Keine Reste und Überbleibsel unserer „Zivilisation“. Wer hier unterwegs ist trägt offenkundig ein Mindestmass an Verantwortung.

Denn: Wenn du es übertreibst oder meinst, du müsstest mit deinem Moped durch ein Naturschutzgebiet brettern, kann es durchaus (berechtigten) Stress geben. Diese beiden Sierras sind aber kein Naturschutzgebiet. In Spanien gilt beispielsweise die Regel, du darfst nicht auf Wegen mit weniger als vier Metern Breite fahren. Also habe ich mein Massband geschnappt und den Weg ausgemessen. Glück gehabt: 402 Zentimeter…

Gegen Nachmittag komme ich nochmal an einem verlassenen Steinbruch vorbei, der mir bei näherer Betrachtung gar nicht mehr so verlassen aussieht, aber zumindest heute ist hier niemand.

Dann geht die Strecke irgendwann über, in die vertrauten Olivenhaine, die hier in der Höhe nur etwas öfter als gewohnt von Felsen unterbrochen werden.

Der beginnende Asphalt signalisiert dann aber das Ende dieses riesigen Spielplatzes für Geländermotorräder. Irgendwie schade, ich hätte auch Lust, die Strecke nochmal zurückzufahren, aber die fortgeschrittene Zeit sagt mir, eine Rückfahrt auf der Landstrasse wäre eventuell etwas weniger zeitraubend.

Das Ende der Strasse durch die Olivenhaine führt dann in einen kleinen Ort und ich habe nicht die geringste Ahnung, wo ich eigentlich bin. Da es zumindest in spanischen Orten aber immer irgendwo einen Mobilfunkmast gibt, weiss Tante Google mir das Dorf „Salar“ am Nordost-Rand der Sierra zu nennen.

Von dort finde ich dann auch wieder die Strasse in Richtung Zafarraya und zurück, in Richtung Küste.

Das wirklich Gute hier ist, dass du sogar dann noch Spass hast, wenn du einfach nur auf den Landstrassen unterwegs bist. Die Landschaft ist auch abseits der Höhen der Sierras noch wundervoll.

Vor ein paar Tagen war ein Freund von mir hier unten und war genauso überwältigt wie ich. Sein Sohn in Deutschland war ganz aufgeregt und fragte, ob es hier Echsen und Schlangen gibt. Das fiel mir wieder ein als ich ein Exemplar auf der Strasse gefunden habe. (Ich habe es aber nicht überfahren, versprochen. Die war bereits deformiert als ich sie entdeckt habe!)

Normalerweise flüchten die Tiere rechtzeitig, bevor man ihnen zu Nahe kommt. Sie registrieren die Vibrationen herannahender Fahrzeuge und Fussgänger schon aus der Ferne und ergreifen rechtzeitig die Flucht, die hier hatte wohl Pech.

Auch das ist hier unten echt gut: Du wirst immer belohnt, egal ob abseits der Strasse oder auf den endlosen kleinen Nebenstrecken, mit einsamen Wegen ohne nennenswerten Verkehr.

Solange du dich abseits der Touristenorte an der Küste bewegst, gibt es so viele menschenleere Gegenden zu erkunden, dass du Jahre benötigst, alle kennenzulernen.

Zuhause komme ich heute ein weiteres Mal mehr als begeistert an. Ich könnte immer stundenlang in solchen Landschaften umherfahren, vor allem wenn sie mir noch unbekannt sind.

Achso: Hier gibt es übrigens auch ein Leben ausserhalb einsamer Sierras. Man sollte es in diesen verrückten Zeiten kaum glauben und ich möchte das jetzt auch nicht weiter thematisieren.

Das nächste Projekt beginnt derweil in Kürze: Es geht für wenige Tage nach Deutschland, um mit einem Freund zwei Motorräder nach Spanien zu überführen. Er ist mittlerweile so angefixt, dass er sein Zweitmotorrad permanent hier abstellen will. Wenn es gut läuft, wollen wir auf dem Weg die Route des Grandes Alps befahren, dann über die Cote d’Azur und die Pyrenäen durch das spanische Hinterland bis hinunter nach Andalusien.

Und wer weiss, vielleicht finden wir auf dem Weg ja noch ein paar weitere Sierras?!

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4 Kommentare

  1. Michael 11/05/2021

    Das Gefühl, wenn eine E-Mail kommt, dass Elmar wieder was gepostet hat. Fast wie Urlaub….1000 Dank für die Mitnahme!

  2. ebee 11/05/2021 — Autor der Seiten

    Hallo Michael,

    ganz lieben Dank für deinen Kommentar, solche Rückmeldungen motivieren enorm. Und sei dir sicher, ich freue mich sehr darüber, auch wenn ich nicht immer sofort antworten kann!

    Danke & Gruss Elmar

  3. Uwe Adamla 13/05/2021

    Ich hoffe, dass die Sorge um den kleinen Hunger nicht zu dem skelettierten Tier führte, auf dem folgenden Bild
    Wie immer lesenswert und schön geschrieben – danke Elmar.
    Es macht Spaß, das alles, in diesen Zeiten, nachzuvollziehen und weckt Fernweh,…..

  4. Winfried Misbach 28/05/2021

    Halo Elmar,

    toller Bericht, schöne Fotos. Meine Frau und ich wollen Jan bis März 20222 testweise dem deutschen Winter entfliehen. Plan ist es die Beiden GS auf den Anhänger zu stellen und Anfang Januar Richtung Andalusien zu fahren. Da ich inzwischen Vorruheständler bin, habe ich ja Zeit. Allerdings haben wir noch keinen Plan wo es genau hingehen soll. Bzw. Wohnung oder Haus mieten. Wichtig ist, schnelles Internet für Homeoffice zu haben und die Möglichkeit Auto, Anhänger und Mopeds sicher abzustellen. Vielleicht kannst du mir da einige Tipps geben.

    Wenn es dich interessiert schau dir mal meine Webseite an. Auch dort gibt es Reiseberichte.

    Viele Grüße
    Winfried

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