Normalerweise kann ich meine Termine selbstbestimmt legen, aber diesmal klappt es nicht ganz so gut. Um meine Akkreditierung bei einem der grossen Zertifizierer aufrecht zu erhalten, muss ich Anfang Juni noch zwei Tage in der Nähe von Köln verbringen. Dabei bin ich schon im Reisefieber und wäre viel lieber „on the road“. Zähneknirschend nehme ich teil und wir verlegen den Start unserer Tour in Richtung Seealpen, Cote d Azur und Mittelmeer ein paar Tage nach hinten.
Dass der Abschluss 2017 in die Vogesen führte, hat die Routenplanung dieses Jahr positiv beeinflusst: Eifel, Saarland, Lothringen, dann über Basel und Bern an den Genfer See und über den San Bernadino und das Aostatal in Richtung französische Seealpen. Ein bisschen Route des Grandes Alpes, mit der Cote d Azur zum Nachtisch, das wäre doch eine angemessen Komposition?!
Wir starten dann Samstags und – ich muss mich gar nicht umgewöhnen – fahren bei Oberhausen in den obligatorischen Ruhrgebietsstau, denn sie haben die A3, extra für mich, wieder voll gesperrt. Irgendwann sind wir sogar um Köln (würg) herum und durchqueren die Eifel via Bitburg. Bei Saarbrücken erreichen wir Frankreich und sind wenig später in den Nordvogesen.
In Gerardmer bin ich hellauf begeistert. Wir rauschen direkt in eine Prozession von Bergrennwagen, die am späten Nachmittag von ihrer Etappe zurück durch die Stadt fahren und dabei diesen unverwechselbaren Klang von Fehlzündungen im Schiebebetrieb eines sequenziellen Getriebes generieren. Gott, wie ich den guten alten Motorsport angesichts dieses überkorrekten ökologischen Gewissens vermisse…
Wir brauchen für den Abend noch einen angemessenen Weisswein und ich krame zur Ermittlung des nächsten Supermarktes meine letzten Französischvokabeln heraus. Endergebnis: Wir werden fündig und benötigen heute nur noch eine anständige Bleibe in Form eines kleinen Hotels in den Hügeln südlich Gerardmer.
Was ich bei der Auswahl nicht berücksichtigt habe, ist das Fehlen jeglicher Kommunikations-Infrastruktur. Kein WiFi, kein Internet, kein 3G, kein Mobilfunk. Das es sowas im Jahr 2018 in Mitteleuropa noch gibt. OK, in Deutschland sind wir kommunikationstechnisch dank unserer Berliner Internetausdruckern im Mittelalter. Aber in Frankreich??
Egal, die betreibende Familie macht mit Freundlichkeit und Kochtalent am Abend alles wieder gut. Wir essen feudal, während das Motorrad sicher und trocken die Nacht im Souterrain verbringen darf.
Der Morgen erwartet uns bei leichtem Nebel über den Wäldern und wir starten weiter in Richtung Süden.
Italien wäre heute ein wirklich tolles Ziel und ich möchte die Route gerne östlich am Genfer See vorbei nehmen.
Vorerst geniessen wir aber die Vogesen bei Kaiserwetter. Die Sonne strahlt mit uns um die Wette und das Motorradfahren macht gleich nochmal so viel Spass.
Dazu blauer Himmel und Schönwetterwolken, grüne Wiesen und vor allem freie Strassen.
Da dauert es nicht allzu lange und Carola zieht sogar ihre Unterjacke aus. Das ist insofern bemerkenswert, da Frauen ja ein besonderes Kälteempfinden haben. Und bei 25 Grad Celsius schon die Unterjacke ablegen? Respekt! Das ist ja praktisch kurz vor dem Gefriertod…
Den Nordwesten von Italien möchten wir heute erreichen und durchqueren dazu ein Stück die Schweiz, vorbei an Basel, Bern, und Montreux am Genfer See.
Dann geht es östlich vorbei am Montblanc in Richtung Col Bernadin, auch bekannt und dem Namen „San Bernadino“.
Oben am Pass ist es ebenso ruhig wie frisch. Wir haben Juni, aber die Schneefelder liegen immer noch weit verbreitet an den Hängen.
Dafür ist die Aussicht phänomenal, der Verkehr überschaubar und unsere Stimmung prima.
Auf dem Weg in Richtung Italien passieren wir unzählige VW Käfer und VW Busse in allen Varianten. Hier muss es irgendwo ein grosses Treffen der Volkswagenfreunde gegeben haben. Die schönen alten Autos sehen wir bis Turin immer wieder und es müssen Hunderte von ihnen gewesen sein.
Wir fahren auf der Südseite des San Bernadino wieder ab und gelangen ins italienische Aostatal. Über Ivrea und vorbei an Turin geht es dann in Richtung Cuneo, wo wir uns am späten Nachmittag eine passende Bleibe suchen wollen. Wir werden fündig in dem kleinen Örtchen Dronero und haben vom Balkon eine tolle Sicht über das Tal und die nahen ligurischen Alpen.
Dummerweise hat das Hotelrestaurant geschlossen und wir müssen nochmal in den Ort, finden dann aber eine nette kleine Pizzeria.
Dort haben sie eine Art Wintergarten aus Glas an die Strassenseite gebaut, wo wir uns niederlassen wollen, während gerade eine Frau mit ihrem kleinen, sagen wir mal „aufgeweckten“ Sohn aufschlägt. Der kurze, dafür aber kräftige Rabauke fegt permanent durch das gesamte Lokal unter Ignoranz von Stühlen, Dekoration und Tischgeschirr. Irgendwann entscheidet er sich für den Ausgang vom Wintergarten auf den Bürgersteig, aber leider ist an der Stelle gar kein Ausgang. Er rennt jedenfalls mit dem Kopf voll gegen eine der Glasscheiben, die dann auch unter einem lauten Knall zerspringt, während er benebelt flennend am Boden liegt. Ich kann nicht anders als mich innerlich kaputtzulachen, sorry. Vorteil: Jetzt ist Schluss mit dem Rumgerenne. Nachteil: Die restlichen 18 Personen der Familie, samt weiterer hyperaktiver Kinderschar kommen ebenfalls gerade an und nehmen direkt neben uns den kompletten Wintergarten in Beschlag.
Während die Bedienung die Augen verdreht und der Chef dem Nervenzusammenbruch bedrohlich nahe kommt, ziehen wir uns lieber in den hinteren, ruhigeren Teil des Restaurants zurück. Eine Taktik, die dem Personal leider nicht vergönnt ist.
Wir geniessen dann jedenfalls unser Abendmahl und das kostenlose Entertainmentprogramm in Form der norditalienischen Sippenhaft, bis wir irgendwann satt sind und uns einfach noch das Städtchen anschauen wollen.
Da das Wetter gut ist und der Sonnenuntergang malerisch daherkommt, ärgere ich mich über die im Hotel zurückgelassene Kamera. Jetzt muss das iPhone herhalten und die Stimmung einfangen. Da bin ich froh, dass aktuelle Smartphones heute gescheite Kameratechnik eingebaut haben.
Dronero präsentiert uns jedenfalls die „Ponte Diavolo“ von 1428 und ich finde die Brücke ebenso schick wie top in Schuss. Die A31 bei uns zu Hause wird jetzt nach 30 Jahren voll saniert, also wie haben die damals nur solch solide Brücken hinbekommen?
Der Abend ist wunderbar, die Sonne geht unter und wir ziehen uns in unsere Gemächer zurück.
Der Wetterbericht am nächsten Morgen verspricht derweil Regen und so kommt es dann auch. Wir müssen tatsächlich in Regenkombi losfahren und die ersten Stunden über Limone Piemonte bis zum Col de Tende in Richtung Frankreich sind ganz schön nass.
Gleichzeitig brauche ich wieder drei Anläufe um eine Tankstelle mit echten Menschen (Homo Sapiens) zu finden. Vorher probiere ich zum hundertsten Mal einen dieser verfluchten italienischen Zapfautomaten mit Kreditkartenslot, aber – wie immer – werden alle meine Karten abgewiesen. Ich weiss wirklich nicht, ob die Italiener etwas gegen mich haben, aber meine Kreditkarten werden an unbemannten Tankstellen nie akzeptiert, wohingegen ich an Tankstellen mit echtem Personal anstandslos mit den gleichen Karten zahlen kann, verrückt.
Aber auf der Westseite, unmittelbar hinter der französischen Grenze wird es schlagartig besser (Das Wetter, nicht die Tankstellen).
Es hängen zwar noch vereinzelte Wolken am Himmel, aber Luft und Strassen sind immerhin trocken.
Wir fahren das wunderschöne Tal über Fontan bis hinunter nach Sospel, natürlich inklusive meiner obligatorischen Fotosessions.
Interessante Erkenntnis dabei: Die Franzosen haben in Grenznähe an strategisch wichtigen Kreuzungen Kontrollen postiert und überprüfen jedes als Schleuserfahrzeug geeignete Gefährt (unser Motorrad gehört nicht dazu) auf illegale Einwanderer.
Aber wenden wir uns lieber wieder den französischen Seealpen zu und geniessen die malerischen Täler.
Nun ist da aber noch ein wesentlicher Punkt auf meiner ToDo-Liste offen: Wenigstens das letzte Stück der Route des Grandes Alpes wollen wir fahren. Na gut: „Ich“ will es fahren. Carola habe ich über mein Vorhaben und die Details zur Strecke weitestgehend im Unklaren gelassen, denn ich fürchte, sie hätte eine weniger spektakuläre Variante verlangt. Aber jetzt, so ohne Vorwarnung, ist es bestimmt gar nicht so schlimm…
Die Strassen sind über weite Strecken schmal, hoch und kurvig. Ich bin hell erfreut und könnte alles gleich wieder bis zum Genfer See zurückfahren, will mein Glück aber nicht zu sehr strapazieren. Immerhin schiessen wir noch das passende Foto:
Bis nach Monton geht es dann hinunter auf Meereshöhe und heraus aus dem Seealpengewusel. Schade eigentlich, die Route des Grandes Alpes muss ich nochmal komplett fahren, so viel ist schon mal sicher.
Bei Menton erreichen wir dann das Mittelmeer und fahren westlich in Richtung Monaco. Monte Carlo liegt unter Wolken, aber auch hier ist es trocken.
Wir fahren mitten durch die Stadt und unten am Hafen sind sie sogar noch mit den Abbauarbeiten vom Formel1-Grand-Prix beschäftigt.
Ich parke die GS mal schnell am Strassenrand um Fotos zu schiessen und realisiere erst beim Rückmarsch zum Motorrad, dass ich die Maschine direkt an der Boxenausfahrt abgestellt habe.
Monaco vermittelt eine beeindruckende Präsenz von Wohlstand, selbst wenn man zuhause schon mal sowas gesehen hat. Dagegen wirkt die Königsallee wie der Jakobsweg für Alditüten. Hier springt das Geld praktisch aus jeder Anzugtasche, jedem Vierrohrauspuff und jeder Luxusyacht, während wir uns nicht mal trauen, einen Kaffee zu bestellen. In diesem Steuerparadies war das wohl zu erwarten, aber auch auf dem Weg weiter nach Nizza ändert sich der Eindruck nicht wesentlich.
Sagen wir mal so, es geht uns gut und ich verdiene Gott sei Dank genug Geld, aber der hier zur Schau gestellte Reichtum sagt vor allem eines: Im Vergleich sind wir unfassbar arm: Bettelarm!
Aber ich möchte um nichts in der Welt mit denen tauschen, die sich morgen ärgern, wenn die Nachbaryacht noch einen Meter länger ist, der Golfkollege den Helikopter chartert oder Ferrari schon wieder ein neues Sondermodell aufgelegt hat, obwohl die Tiefgaragenfläche zu Neige geht.
Gut, dass meine Sozia das genau so sieht und mindestens ebenso viel Freude hat wie ich und schön, wenn man einen Heidenspass daran hat, an diesem Luxuswettlauf eben nicht teilnehmen zu müssen und sich auf die wichtigen Dinge des Lebens konzentrieren kann, zum Beispiel Motorradfahren!
Wir cruisen noch mitten durch Nizza und Cannes, aber irgendwann geht uns der Verkehr auf den Keks. Vor allem an der Küstenstrasse wird dieser durch tausende Ampeln am Fluss gehindert. Sei dir sicher, die Ampel an die du gleich kommst, ist rot! Egal welche Geschwindigkeitsvarianten du zwischen ihnen ausprobierst.
Irgendwann reicht es uns und wir fahren von der Küstenstrasse ab in Richtung Autobahn, denn wir wollen heute noch Saint Tropez sehen und dort in der Nähe eine Übernachtungsmöglichkeit suchen.
Gerade auf der Autobahn angekommen, lässt dann die erste Mautstation nicht lange auf sich warten. Ich fahre langsam an die etwa zehn Boxen heran und schaue konzentriert auf die Schilder über mir, um die richtige Einfahrt zur Kartenzahlung zu erwischen. Dabei bemerke ich aus dem Augenwinkel ein von links hinten herannahendes Auto.
Der Kleinwagen ist etwas schneller als wir und als er direkt links neben uns angelangt ist, überlegt der Fahrer es sich anders und will ganz nach rechts. Mit einem lauten Krachen fährt uns der Idiot voll in die Seite und ich kann den Sturz gerade eben noch verhindern. Gott sei dank ist Carola nichts passiert.
Der Knall war so laut, dass ich zunächst völlig perplex bin und mich wundere, dass ich an unserer linken Seite überhaupt noch einen Alukoffer sehen kann.
Ich halte dann sofort an, direkt neben dem ebenfalls gestoppten Auto. Es ist ein dunkelblauer Peugeot 207 und der Fahrer dürfte sicherlich irgendwas zwischen 75 und 80 Jahre alt sein. Dieser senile Trottel hat uns fast umgebracht und ich schreie den Kerl zusammen, dass er mit aufgerissenen Augen und offenem Mund in seiner Blechdose zusammensackt.
Seine Beifahrertür ist schrott, tief eingedrückt und ein Fall für den Komplettaustausch. Gleichzeitig ist an unserem Alukoffer praktisch überhaupt nichts zu sehen. Die Aluboxen scheinen dermassen stabil zu sein, das ich lange an den Plastikecken suchen muss, um überhaupt einen Kratzer zu sehen.
Trotzdem bin ich stocksauer über diesen Volltrottel, dass ich ihn dann nach einer meiner ausgeprägten Hasstiraden stehen lasse und weiterfahre. Soll er zusehen wie er mit seinem Blechschaden klarkommt. Am liebsten hätte ich seine Fahrertür gleich auch noch eingetreten.
Wir konzentrieren uns dann lieber wieder auf die Cote d Azur und Saint Tropez. Aber auch hier ist der Verkehr ausgesprochen dicht und wir haben den Eindruck, die Rushhour am späten Nachmittag hat voll eingesetzt. Die Fahrzeuge stehen über Kilometer und in einem PKW würden wir hier sicherlich stundenlang stehen.
Nur durch konsequente Lückennutzung und Vorbeifahrten gelangen wir dann irgendwie bis nach Saint Tropez. Einen Parkplatz kann ich derweil nicht finden, nicht einmal für unser Motorrad. Also stelle ich die Maschine irgendwo „halblegal“ ab und mache wenigstens noch ein Foto der berühmten Gendarmerie. Die Idee hatten wohl auch sehr viele andere Touristen und vor dem Gebäude posiert sogar ein geschäftstüchtiger Franzose in Uniform a la Louis de Funes.
So richtig schön finden wir Saint Tropez aber nicht. Es ist uns viel zu touristisch und überlaufen. Daher flüchten wir schnell wieder vor die Tore des Städtchens und suchen uns eine Bleibe für die Nacht. Wir entscheiden uns für das kleine und feine B&B „La Gavotte“, etwas südlich von Cogolin.
Dort erhalten wir das Gartenhäuschen und fühlen uns pudelwohl. Alles ist urgemütlich, sehr sauber und den Pool können wir auch mitnutzen.
Am Abend erhalten wir eine Restaurantempfehlung und fahren in den Ort. Aber schon nach kurzem Studium von Speisekarte und Preisen ergreifen wir die Flucht. Wir hatten wirklich nur ein kleines Bistro gewählt, hätten aber für eine Mini-Vorspeise, einen Salat und einen Schluck Wein um die 80 Euro zahlen sollen. Nein danke.
Stattdessen fahren wir zum nächsten Supermarkt, kaufen uns Baguette, Salami, Käse und eine Flasche Wein und verbringen den Abend gemütlich und in Ruhe auf unserer Terrasse. Mehr brauchen wir wirklich nicht.
Der nächste Tag ist Fahrtag! Irgendwas um die 800 Kilometer sind heute abzuspulen, denn unser Tagesziel ist die Gegend um Tortosa, zwischen Barcelona und Valencia.
Wir fahren zunächst durch Grimaud, ein wirklich sehenswerter kleiner Ort mit Burg in der Provence. Danach geht es auf der D558 in Richtung Norden durch die Plaine des Maures, einem ebefalls sehenswerten Naturschutzgebiet und Bergmassiv. Rein vom Fahren und von der Landschaft her, ist alleine dieser Teil unserer Route schon ein Highlight.
Bis an den Rand der Pyrenäen verläuft der restliche Vormittag recht unspektakulär, aber etwa 10 Kilometer vor der spanischen Grenze verdunkelt sich der Himmel bedrohlich. Die Wolken werden immer schwärzer und mir schwant Böses. Wir halten unter pechschwarzem Himmel in einer kleinen Einbuchtung an der Autobahn und werfen uns die Regenkleidung über. Und nur wenige Meter weiter öffnet der Himmel dann seine Schleusen. Ich habe in meiner gesamten Motorradkarriere noch niemals so ein Unwetter erlebt. Die Wassermassen, die vom Himmel stürzen sind unfassbar und ich bin innerhalb kürzester Zeit pitschnass bis auf die Knochen. Carola ergeht es nur wenig besser, da sie eine einteilige Regenkombi angezogen hat, während mir diese Dinger zuwider sind.
Dort in den Bergen, wo die Autobahn die Grenze passiert, kann ich kaum noch die Strasse erkennen und das Wasser steht so hoch, dass es mir während der Fahrt in die Stiefel hineinläuft. Ich habe zum ersten mal echte Angst, dass ich Maschine inklusive Besatzung in den Tod fahre. Genau auf diesem Teil der Grenzautobahn gibt es weder Standspur noch Parkplatz und sobald ich stoppen wollte, würden uns die LKW von der Bahn rammen. Wahnsinn, aber ich kann und darf einfach nicht anhalten, während das Regenwasser bis zur Radnabe steigt!
Nach einer halben Stunde ist der Spuk dann aber vorbei und wir halten an der ersten möglichen Raststätte an. Ich wringe Handschuhe, Socken und Stiefel aus und frage vorsichtig mal bei Carola nach. Sie ist entspannt und froh, dass es wieder trocken ist und fragt fröhlich, ob wir es wohl noch bis hinter Barcelona schaffen?
Unglaublich. Ich weiss, dass es nicht so viele von ihrer Sorte gibt und wir könnten uns sicher bequemere Arten von Urlaub erlauben, aber dazu kommt kein Wort.
In der Nähe von Tortosa, genauer gesagt in dem eher nichtssagenden Ort L’Aldea finden wir dann das kleine „Mas Masdeu„.
Als wir an dem bauernhofähnlichen Anwesen einfahren, sind wir zunächst skeptisch. Es sieht auf den ersten Blick etwas verloren aus und wir sehen weit und breit keinen Menschen. Nur ein alter, verranzter Mercedes steht verloren unter den Bäumen. Da beginnt man schon mal, sich Gedanken zu machen, wo man denn hier gelandet ist.
Aber nach zweimaligem Umkreisen des Gebäudes kommt uns der Herr des Hauses grinsend entgegen und versorgt uns zur Begrüssung ungefragt und wie selbstverständlich mit kühlem Bier, Wein und Knabbereien.
Wir bekommen das sehr grosszügige Nebengebäude und machen es uns auf der eigenen Terrasse gemütlich. Am Abend kocht die Chefin dann extra für uns, wir lassen es uns richtig gut gehen und das Frühstück am Morgen ist mindestens ebenso fantastisch wie die selbstgemachten Tapas am Tag zuvor. Spitzenklasse! Hier würden wir sofort wieder Halt machen!
Unter weitestgehender Umfahrung der mautpflichtigen Autobahnen geht es dann über Castellon de la Plana nach Valencia. Wir schauen uns die Stadt an und sind ziemlich begeistert. Valencia ist als Grossstadt nicht unbedingt mein bevorzugtes Revier, aber diese Metropole ist wirklich schön und es gibt sehr viel sehenswerte Architektur.
Südöstlich von Alzira kommen wir an einem alten Kloster aus dem 16. Jahrhundert vorbei und ich freue mich über ein ansprechendes Fotomotiv. Leider ist das Gebäude in einem schlechten Zustand und ich würde mich wirklich gerne darum kümmern, aber uns fehlt gerade die Zeit für eine anständige Restauration…
Ausserdem haben wir noch Strecke zu machen und bis irgendwo in die Nähe von Murcia sollte es schon noch gehen. Zudem wäre heute mal ein richtiges Hotel mit Abendessen, Klimaanlage und Meerblick fein. Nach dem Besuch von Benidorm und Alicante finden wir in Torrevieja dann mit dem Hotel Masa ein Haus, welches alle unsere Ansprüche erfüllen sollte.
Direkt vor dem Hotel gibt es überdachte Parkplätze und wir stellen das Motorrad ab, wobei direkt neben uns gerade ein grosser Geländewagen einparkt. Im Schatten kann ich nur die Beifahrerin sehen: Ein wirklich attraktives Mädel, so um die Ende Zwanzig, die wohl gerade gestikulierend mit dem Fahrer diskutiert. Während wir noch unser Gepäck abrödeln, steigen dann beide aus und ich erkenne etwas verwundert einen untersetzten glatzköpfigen Herrn, so in den fortgeschrittenen Sechzigern und von ebenso ausladender Statur wie unangenehmer Erscheinung.
Nennenswertes Gepäck haben die beiden nicht dabei und das ungewöhnliche Paar läuft dann direkt vor uns zur Rezeption um einzuchecken. Während er seine goldene Kreditkarte zückt, steht das Püppchen daneben und macht eine wirklich gute Figur mit ihren langen braunen Haaren und Traummassen von 90-60-90 in einem ansprechend knappen Sommerkleidchen.
Ich finde es ja immer gut, wenn Väter ihren Töchtern etwas bieten können, aber Carola verdreht unterdessen nur die Augen. Komisch…
Wir verbringen dann den Rest des Nachmittags ganz chillig am Pool und geniessen die Aussicht auf das Mittelmeer. Unterdessen reserviere ich uns einen Tisch im hauseigenen Restaurant. So zwischendurch ist es auch mal ganz angenehm mit Vollkomfort zu residieren und am Abend ein gepflegtes Dinner mit drei Gängen einnehmen zu können, während uns überaus freundliche Herren im schwarzen Livreé umsorgen.
Nur Vater und Tochter sind am Abend nicht im Restaurant anzutreffen. Wer weiss, vielleicht beraten sich die beiden ja gerade in Sachen Berufswahl, oder Persönlichkeitsentwicklung, oder so…
Unsere letzte Etappe führt uns über Cartagena und Mazarrón in Richtung Vélez-Málaga. Bemerkenswert sind noch die endlosen Gewächshauskontruktionen bei Almeria, besser bekannt unter der scherzhaften Bezeichnung „Costa plastica„.
Hier werden unvorstellbare Flächen für den Anbau von Obst und Gemüse verunstaltet und ich würde die Gegend nicht unbedingt als Urlaubsregion empfehlen. Unzählige Quadratkilometer werden in dieser Region unter Plastikplanen konserviert und der Massenanbau ist auch nicht ganz unschuldig am Wassermangel der Region, trotz entsprechender Reserven in der Sierra Nevada.
Aber etwas weiter südlich wird es dann wieder schön und die Küstenstrasse führt mit teilweise atemberaubenden Aussichten bis nach Motril am Meer entlang.
Wir kurven dann lieber noch etwas durch das schöne Hinterland und geniessen die Anfahrt in Richtung Sierra Nevada, nach deren Passage wir dann auch so langsam die Sierra Tejeda und unser Ziel erreichen.
Und während die Sonne langsam untergeht, das Motorrad sicher abgestellt ist und wir mal ein paar Tage Fahrpause einlegen können, müssen wir uns nur noch Gedanken über die Poolpflege und die korrekte Temperierung des Weissweins machen.
Ja, so kann man es aushalten!
Mein grösstes Problem ist jetzt: Was mache ich mit zwei 1200er GS in Spanien? (Kleiner Scherz…) Nummer zwei hatte ich ja bereits Ende April nach Andalusien gebracht und sie wird hier unten bleiben.
Ich fürchte also, wir müssen auf mindestens einer von Beiden auch wieder zurückfahren. Ein tragischer Gedanke, aber darüber zerbreche ich mir dann morgen den Kopf…
Wir bleiben dann noch eine Woche in Andalusien, bevor Carola nach Hause fliegt und ich alleine den Heimweg auf zwei Rädern antrete, mit einer anderen Route als zunächst geplant und durchaus bemerkenswerten Erlebnissen.
Aber das erzähle ich dann in einer anderen Geschichte…
Reisezeit: Juni 2018
Gefahrene Kilometer: 3.285
Schäden/Verluste: Eine Beifahrertür (Typ Peugeot 207, dunkelblau)
Gesamtkosten: 826,- EUR inkl. Übernachtungen, Essen, Sprit, etc.
Schönste Ecken: Aosta-Tal, Dronero, Grimaud, Valencia, Sierra Nevada, Sierra Tejeda
Touristisch und sehr, sehr voll: Monaco, Nizza, Cannes, Saint Tropez
Was uns sonst noch aufgefallen ist:
Das die Alpen zu unserer Reisezeit noch erfreulich wenig besucht waren.
Teilweise schwer berechenbare PKW-Fahrer in Frankreich.
Tiefenentspannte Spanier.