Irgendwann im August, ich glaube es war zwischen Albanien und Rumänien, erhalte ich den Anruf eines langjährigen Bekannten aus Bottrop: Er plane eine Motorradtour in die Vogesen und hätte einen Platz frei. Termin Anfang Oktober über den Feiertag. Interesse? Ja klar!
Bevor ich durch meine diesjährigen Alleinreisen die Fähigkeit verliere, mit Menschen auf Reisen zu gehen und ein Resozialisierungsprogramm durchlaufen muss, sage ich kurzerhand zu.
Je näher der Termin rückt, umso schlechter wird die Wettervorhersage. Aber am Freitagmorgen der Abfahrt ist es überraschend trocken und ich starte mit der GS in Richtung Ruhrgebiet, zugegeben eine Gegend die (erwähnte ich es vielleicht schon mal?) freiwillig nicht mehr betrete. Na gut, zum Start einer Motorradtour machen wir mal eine Ausnahme…
Der Tag beginnt damit, dass mir fünf Minuten nach der Abfahrt ein Reh vor das Motorrad springt und ich den Aufprall gerade noch durch eine Vollbremsung verhindern kann. Glück gehabt! Da ich nicht mit halbleerem Tank bei Georg in Bottrop ankommen möchte, will ich erstmal tanken und halte direkt nach meiner heldenhaften Bambirettung an einer kleinen Tankstelle.
Beim Bezahlen schafft es die Dame an der Kasse irgendwie, die Kreditkarte so in das Terminal zu stecken, dass sie weder richtig hinein, noch wieder heraus will. Sie versucht eine ganze Zeit lang das Terminal zu bearbeiten, aber die Karte bleibt wo sie ist. Na das fängt ja gut an denke ich mir. Schliesslich schaffe ich es mit roher Gewalt, die Karte aus dem Terminal zu befreien. Das ganze Theater dauert so lange, dass ich schliesslich auf der Autobahn nach Bottrop fahre, um zur vereinbarten Zeit anzukommen.
Wir teffen uns bei Georg zunächst mit Angela, mit der wir den Tag über bis nach Berghausen, etwas südlich von Limburg an der Lahn fahren. Axel und Bernd, Nummer vier und fünf in unserer Runde, stossen dann erst später am Abend zu uns.
Es geht zunächst über die Autobahn bis nach Königswinter, wo wir die vermeintlich angenehmere Landstrasse fahren. Aber so richtig schön wird es erst in der Nähe von Montabaur. Dafür ist der Himmel zwischenzeitlich aufgerissen und die Sonne strahlt.
Wir machen auf einem Hügel halt und ich fotografiere sowohl die Gegend, als auch…
…die auf mich etwas seltsam anmutenden Entspannungsübungen meiner beiden Mitreisenden. Das ist dann wohl der Moment, in dem ich kurz an meine Solotouren denke, aber vielleicht sind die beiden ja auch später wieder ganz normal?!
Immerhin hat Georg dafür gesorgt, dass wir nicht verhungern und ich bin schon wieder etwas beruhigt.
„Willi“ auf seinem Soziussitz wird uns übrigens in den nächsten Tagen begleiten und wackelt am Heck seiner Yamaha vom Fahrtwind immer mit dem Kopf von links nach rechts:
Heute endet der Tag am „Berghof“ in Berghausen, einem ordentlichen Haus und ideal für einen „Stopover“.
Kurz vor der Ankunft meldet sich das Display von Angelas BMW mit der Meldung einer defekten Abblendlicht-Birne und ich bin nur so lange stolz darauf das passende Ersatzteil dabei zu haben, bis ich fast an der Austauschprozedur verzweifle. Wer bei BMW hat sich eigentlich die bescheuerte Fixierung der Frontlampen ausgedacht? Um das Teil auszutauschen benötigt man Kinderhände und die Fähigkeit, die Haltklammern und deren Mechanik zu erfühlen. Grausam. Nach einer Viertelstunde habe ich es dann aber doch geschafft. Damit die Elektronik die ersetzte Birne erkennt, muss man übrigens den Motor der Maschine einmal komplett starten. Schaltet man nur die Zündung ein ist das Display immer noch der Meinung, die Lampe wäre Defekt. Egal – ich muss ja nicht alles verstehen…
Später tauchen dann schliesslich unsere beiden fehlenden Mitreisenden auf: Axel und Bernd mussten noch arbeiten und haben die Anreise dann komplett auf den deutschen Autobahnen vollzogen. Dafür sind wir nun endlich vollständig.
Der Starttag war schon mal gut, aber für den kommenden Tag bleibt die Wettervorhersage ziemlich mies. Wir rechnen demnach mit strömendem Regen am Morgen und ich lege vorsichtshalber meine Regenkombi zurecht.
Da ich grundsätzlich mit offenem Fenster schlafe, horche ich beim Aufwachen nach prasselnden Geräuschen von draussen. Aber ich vernehme keinen Regen und prüfe die Lage mit einem Blick aus dem Fenster: Alles trocken – nicht mal die Strasse ist nass.
Ungläubig prüfe ich das Regenradar in der Wetter-App: Unmittelbar nördlich von uns zieht ein riesiges Regengebiet vorbei, aber in unserer Fahrtrichtung bleibt es trocken. Glück gehabt.
Wir fahren bei Lorch auf die Rheinfähre und ich empfinde es als glückliche Fügung, Zeit fürs Fotografieren zu haben. Das Fahrprogramm meiner Reisegruppe ist ambitioniert: Angehalten wird nur, wenn es rote Ampeln, leere Tanks oder die Querung deutscher Wasserstrassen erfordern! Motorradstopps für die Kameranutzung? Undenkbar! Da muss ich mich wohl einfügen, was mir angesichts der lustigen Runde aber nicht schwer fällt.
Auf der linken Rheinseite fahren wir durch den Hunsrück, einer Gegend von der ich bisher nichtmal genau wusste wo sie liegt. Aber die kleinen Strassen und verschlafenen Dörfer sind toll, da kann man das Moped gut laufen lassen.
Weiter geht es durch den Pfälzer Wald und an einem Motorradtreff vorbei, der in der Gegend unter dem Namen „Johanniskreuz“ wohl recht bekannt sein muss.
Georg hat derweil Routen herausgesucht, die wirklich toll sind. In der Nähe der französischen Grenze fahren wir einen dermassen kleinen Waldweg, dass ich fürchte, wir stehen gleich vor Räuber Hotzenplotz…
Wir entern weiter südlich dann Lothringen, was ja irgendwie auch mal deutscher Bod…. äh – falsches Thema…
Ein Stückchen weiter durchqueren wir die Nordvogesen und erreichen dann im kleinen Örtchen Natzwiller unser Hotel, die „Auberge Metzger„. Das ist ein echt feines Haus mit sehr schönen Zimmern.
Im Vorjahr hatten wir auf Korsika bereits die hohen Preise der französischen Herbergen und Küche kennengelernt. Heute macht unser Domizil den Erfahrungen von damals wieder alle Ehre.
Die Küche serviert edles Essen und wir registrieren an den Nebentischen Schweizer Gäste, wohlhabende Päärchen und Anzugträger vor Silberbesteck und glänzendem Porzellan.
Gut, dass wir Bernd dabei haben der sich alle Mühe gibt, mit besonders modischen Stileinlagen unser Niveau zu halten!
Ok, unsere Truppe passt nicht so ganz ideal in die Szenerie, aber wir tolerieren die Gesellschaft, die das Abendessen ohne vorheriges Biertrinken in Motorradhosen an der Theke einnehmen.
Das Aufsatteln am nächsten Tag beginnt ziemlich kalt, dafür aber bei strahlendem Sonnenschein.
Wir fahren aus Natzwiller in die Hügel und sehen bei der Auffahrt die Nebelschwaden im Tal. Die Sicht ist fantastisch und der Himmel fast wolkenfrei.
Am Waldrand werden von zwei Männern gerade frisch erlegte Wildschweine aufgebrochen, die Vögel zwitschern und die Strassen sind menschenleer: Was für ein Start!
Tau, Herbstfarben, Morgensonne: Das muss der Motorradhimmel sein.
Zwischendruch unterhalten uns Axel und Bernd mit gegenseitigen Frotzeleien und sorgen so auch für sehr kurzweilige Pausen. Irgendwie erinnern die beiden an Waldorf und Statler aus der Muppet-Show und retten damit sicher auch Tage, an denen es durchgehend schüttet!
So kann man die Vogesen einfach nur geniessen und ich bin froh, dabei sein zu dürfen.
Es geht immer wieder aus Tälern auf Hügel von 300 Meter und über schöne kleine Pässe bis auf 1200 Meter. Wir passieren jede Menge Skigebiete und sehen Autos auf Parkplätzen, aber nur wenige Menschen. Irgendwie scheinen sich die Franzosen alle in den Wäldern zu verstecken. Uns solls recht sein, denn die Strassen sind meistens komplett frei.
Auf einen der Berge führt ein Sessellift, der viele Radler mit deren Bikes auf die Höhe befördert.
Was für uns der Motorradhimmel ist, stellt für die Mountainbiker wohl der Crosshimmel dar. Sie springen über die Rampen und heizen den Berg hinab das es eine Freude ist zuzusehen. Ich überlege noch kurz, mit meiner GS hinterherzufahren, besinne mich dann aber eines Besseren. Teth in Albanien war dieses Jahr genug für mein armes Moped…
Hier in den Bergen Nordostfrankreichs finden sich auch immer wieder grosse Kriegsgräberstätten. Es sieht so aus, als hätte man sich hier wohl häufig und heftig gestritten und ich fürchte, wir Deutsche waren mal wieder nicht ganz unschuldig daran.
Aber zurück zur Tour. Die Bilder können nur annähernd die schöne Umgebung wiedergeben. Und ich kann nicht glauben, dass wir heute so unverschämtes Glück mit dem Wetter haben.
Traumhafte Aussichten wechseln sich mit wunderschönen, kurvigen Waldstrassen ab und von den Höhen haben wir in der klaren Luft immer wieder fantastische Fernsichten.
Es ist Wochenende und alle Menschen scheinen die letzten schönen Tage der Saison für ihr jeweiliges Hobby zu nutzen: Wandern, Biken, Motorradfahren, Paragliden. Egal was, hauptsache draussen.
Wir haben sauviel Spass, geniessen die Fahrt und flachsen bei unseren Stopps kräftig herum.
Bei Mulhouse geht es dann über Grenze zurück nach Deutschland. An einer Tankstelle übt Bernd derweil das korrekte Befüllen seiner Suzuki. Merke: Auch Tanken will gelernt sein!
Die Schwarzwald Pässe stehen derweil denen in den Vogesen in nichts nach und auch hier geht es locker auf 1200 Meter hoch.
Am Nachmittag kommen wir dann im Hotel Albtalblick in Häusern an und unser Chef Georg reportet bei einem gepflegten Bier (oder sind es gar zwei?!) einen erfolgreichen Tag in die Heimat.
Was soll man da noch sagen: Toller Tag, Sonneruntergang, Bubu machen!
Bernd und Axel verwechseln am Morgen den Hotelparkplatz dann irgendwie mit der Boxengasse. Und angesichts ihrer Ambitionen mache ich mir etwas Sorgen um das gemütliche Tagesprogramm…
Den Kandel (Berühmter Schwarzwaldberg – kannte ich gar nicht…) überqueren wir im Nebel mit Sichtweiten von gefühlten 5 Metern, was bedeutet, dass ich den Kandel jetzt immer noch nicht kenne… egal…
Unsere beiden Rennfahrer beweisen dann bei der professionellen Kettenpflege auch noch ihre Mechanikerqualitäten. Respekt!
Währenddessen versuche ich GS-würdige Alternativrouten zu entdecken, scheitere aber immer wieder am Veto meiner Reisekollegen auf ihren Strassenmaschinen. Unter Berücksichtigung meiner Resozialisierungsambitionen gebe ich dann aber nach, wenn auch unter leisem Protest.
Über das wunderschöne Örtchen Wolfach geht es durch das wuselige Pforzheim und dann am Neckar entlang durch den Odenwald und weiter in den Spessart.
Hier erwischt uns später dann leider heftiger Regen. Hatte ich den ganzen Sommer über die blöde Pelle fast schon vergessen, bin ich nun froh sie dabei zu haben. Wenngleich meine Zuneigung zum Regenoverall nie die zu meiner Sommerjacke erreichen wird.
In einer tropfnassen Waldkurve steckt ein älterer 3er BMW in der Leitplanke. Dem Fahrer geht es gut, aber er schaut deutlich frustriert auf seine total ramponierte Fahrzeugfront. Man kann förmlich sehen wie er beim Herausbeschleunigen aus der Kurve die Kontrolle über sein Heck verloren hatte. Zehn Meter weiter liegt seine Stossstange und wir zirkeln unsere Motorräder an den Wrackteilen vorbei. Das sind Momente, in denen man froh ist, am Abend das Hotel mal wieder ohne Blessuren erreicht zu haben. Diesmal ist es das „Waldhotel Heppe“ bei Dammbach im Spessart.
Ich weiss gar nicht wie ich das Haus beschreiben soll. Vorweg: Wir haben uns sehr wohl gefühlt und haben reichlich Spass am Abend bei leckerem Essen und reichlich Getränken. Aber die schonunsglose Wahrheit hat auch noch andere Gesichter. Zunächst senken wir den Altersdurchschnitt deutlich und das will bei unseren Jahrgängen ja schon mal was heissen. Dann ist die Einrichtung teilweise schon echt „trashig“, jedenfalls habe ich noch nie so hässliche Dekopuppen gesehen.
Was mir als nächstes auffällt ist der ziemlich tranige Kellner und die Eigenart des Hauses, jede einzelne Getränkebestellung mit einer gesonderten Tischquittung zu versehen. Wir machen uns dann einen Spass daraus, den Papierkram fein säuberlich auf der Tischdecke zu präsentieren. Das wird ein Festspiel für die Reisekostenabrechnung!
Immerhin war unser Tisch herzlichst für „Familie Wegner“ reserviert, auch wenn wir mit fünf Erwachsenen ähnlichen Alters nicht gerade als Familie durchgehen. Nunja – spielt bei der Gesamtlage heute Abend auch keine Rolle mehr.
Auf meinem Zimmer setzt sich der Charme der frühen Siebziger jedenfalls nahtlos fort und ich bewundere minutenlang die Entertainment-Hardware am Bett. Das Telefon sieht aus als wäre Nikita Chruschtschow höchstpersönlich am anderen Ende der Leitung und das Wandradio spielt ganz sicher Bata Illic zum Wachwerden, also fasse ich die Plastikregler besser gar nicht erst an.
Das Badezimmer taugt derweil als Paradebeispiel zeitgenössischer Designstudien (sofern man die Kacheln der 70er nicht als Geschmacklosigkeit versteht). Senfgelbe Keramik spielt derweil mit den Mokkaintarsien grünbrauner Wandfliesen. Irgendwie fügt sich hier alles zusammen, zu was auch immer…
Was so gar nicht dazu passt sind die hochmodernen Tesla-Ladestationen am hauseigenen Parkplatz, aber die bemerkenswerte Innenausstattung werde ich trotzdem so schnell nicht vergessen.
Nochmal: Ich will das Haus nicht kritisieren, denn wir haben uns dort wohl gefühlt, aber ganz schön schräg wars trotzdem…
Bei der Abfahrt regnet es dann recht heftig, aber das Regenradar verspricht Trockenheit in etwa einer Stunde. Ich riskiere es, ohne Regenoverall loszufahren und das funktioniert dann auch. Meine Schlechtwetterjacke wird nur aussen nass und ist dann auch innerhalb kürzester Zeit wieder trocken als der Regen aufhört.
Spätestens bei unserer ersten Rast ist alles prima und wir können die letzte Etappe in Richtung Rhein in Angriff nehmen.
Kuriosum am Rande: Ich sehe zum ersten Mal den Rheinabschnitt zwischen Eltville und Loreley, inklusive der Burg Pfalzgrafenstein und weiterer, richtig toller alter Rheinfestungen und Burgen.
Über kleine Landstrassen geht es weiter an die Lahn bis nach Bad Ems, ebenfalls einem richtig schönen Städtchen.
Den restlichen Heimweg nehmen wir dann weiter nördlich über die Autobahn in Angriff und verabschieden uns bei Düsseldorf nach Hause.
Unsere grobe Route (klick für grösser):
Fazit:
Es war mal wieder richtig erfrischend und unterhaltsam in der Gruppe zu fahren und hätte sicher hunderte weitere Gelegenheiten gegeben, tolle Fotos zu machen. Aber mit Rücksicht auf das Fahrprogramm habe ich mich so gut es geht zurückgehalten.
Besonders am Abend macht es einfach richtig Spass den Tagesablauf mit Freunden zu diskutieren, da fehlt bei Soloreisen einfach die Kommunikation.
Kosten: 585,19 EUR inkl. Sprit, Übernachtungen, Essen, Trinken, Fähren usw.
Reisezeit: 5 Tage Anfang Oktober 2017
Gesamtdistanz: 1.981 km
Schäden: Eine Standard-H7-Abblendlicht-Birne (Ersatzteil-Link)
Bernd 06/10/2017
Hallo Elmar,
selten eine so kurzweilige Reisebeschreibung gelesen. Nur gut, dass auch ich dabei sein durfte. Hätte mich sonst geärgert.
VG
Bernd
ebee 06/10/2017 — Autor der Seiten
Immerhin weiss man im Normalfall ja nicht was man verpasst… Aber in der Tat: Euch hätte ich ungern verpasst 🙂