Wie soll ich diesmal anfangen? Meine grobe Idee ist eine Art „History-Tour“. Schon sehr lange stehen die Strände der Normandie auf meiner Wunschliste. Die Strände, an denen am 6. Juni 1944 die Alliierten gelandet sind. Da wollte ich immer schon mal hin, habe es aber trotz mehrerer Reisen nach Nordfrankreich noch nie geschafft.
Da ich wieder aus Andalusien fahre, kommen ein paar weitere Orte hinzu, die mit dem D-Day in Verbindung stehen: Oradour-sur-Glane, nordwestlich von Limoges und Brûly-de-Pesche in Belgien. Die Hintergründe zu diesen Zielen erkläre ich dann später.
Vorher passiert mir etwas, das ich nur schwer erklären kann. Wer mich kennt weiss, dass ich mit Tieren nicht viel am Hut habe. Zwar habe ich nichts gegen Tiere, aber ich kann auch nicht viel mit ihnen anfangen. Und eines Tages im Mai läuft eine Katze um unser Haus. Sie sieht eher klein und mager aus und etwas hilflos. Also biete ich ihr eine Dose Thunfisch an, denn das ist gerade alles, was mir „katzenkompatibel“ erscheint.
Meine Aktion hat ungeahnte Folgen: Ab sofort erklärt sie uns zu ihrer neuen Familie. Einige Wochen päppeln wir sie mit echtem Katzenfutter auf, als Carola nach Deutschland fliegt und ich realisiere, dass sie ab dem Tag meiner Motorrad-Abreise wieder auf sich alleine gestellt ist.
Mache ich jetzt Katzenfotos und poste auf Instagram und im Status nur noch Tierbilder? Nein, keine Sorge…
Ich reise im Juli ab und wähle diesmal eine neue Route, die ich noch nicht kenne. Ich bin schon etwa 14 Mal von Spanien nach Deutschland gefahren. Unbekannte Routenvarianten zu finden, wird nicht einfacher. Diesmal geht es von der Costa del Sol mitten durch Spanien über die Sierra de Andujar, westlich an der Hauptstadt Madrid vorbei nach Burgos in Nordspanien, dann östlich von Pamplona über die Pyrenäen in Richtung Limoges, Le Mans nach Caen in der Normandie. Danach weiter nach Rouen, Amiens und in die Ardennen. Der erste Streckenteil hat eine Länge von knapp 3.000 Kilometern.
Danach geht die zweite Etappe in die Westalpen, hauptsächlich Offroad, soweit mein Plan. Aber das kommt später.
Unterwegs habe ich mir über den vergangenen Winter die passenden Haltepunkte notiert und diesmal stehen alle mehr oder weniger in einem historischen Kontext. Geschichte hat mich schon immer interessiert, wobei es mir egal ist, ob es sich um uralte Steine handelt oder eine Begebenheit, die erst wenige Jahre zurückliegt. Ich finde es einfach immer spannend, Relikte aus einer vergangenen Epoche zu entdecken. Viele Orte bergen solche Geschichten.
Das spanische Hinterland präsentiert sich auch auf dieser Route wieder so, wie ich es kenne: Kaum belebt, sehr ruhig und mit endlosen, menschenleeren Weiten. Mir gefällt das so unfassbar gut, dass ich immer wieder froh bin, wenn ich die Strassen über viele Kilometer für mich alleine habe. In Frankreich oder Deutschland ist das komplett anders. Viel hektischer, teilweise laut und abweisend.
Bei Iznajar komme ich am gleichnamigen Stausee vorbei, der mir recht gut gefüllt erscheint. Jetzt im Hochsommer sind die Wasservorräte in Andalusien wieder hart an der Grenze. Dieses Jahr ist es nur deshalb marginal besser, weil es um Ostern mal eine Woche durchgeregnet hat. Ansonsten ist Wassermangel seit ein paar Jahren ein echtes Problem.
Für mein erstes Ziel muss ich knapp 300 Kilometer fahren, kann unterwegs jedoch die besagten Landschaften geniessen. Ich kenne wenige Gegenden in Europa, in denen man so ruhig und gelassen Motorrad fahren kann wie in Spanien.
Aber zurück zum ersten Reiseziel: Das sind die Minas del Horjaco. Irgendwann macht die Landstrasse eine seichte Kurve und links der Fahrbahn gibt es einen Abzweig, den man leicht verpassen kann. Der Weg besteht nur aus festem Schotter und normalerweise wäre ich an dem Abzweig vorbeigefahren, wäre ich bei meiner Recherche vorab nicht auf die uralten Silberminen gestossen.
Sobald man von der Landstrasse abgefahren ist, fährt man einige Kilometer über die Schotterpiste. Die Minas del Horcajo sollen bereits im 16. Jahrhundert Silber geliefert haben und waren bis etwa 1970 in Betrieb. Um 1870 wurden pro Jahr bis zu 2000 Tonnen Silbererz gewonnen.
In dem Ort Horcajo lebten damals bis zu 4500 Menschen. Heute gibt es praktisch keine Einwohner mehr und die meisten Gebäude liegen in Trümmern.
Horcajo liegt zudem etwas ungünstig, in einem abgelegenen Tal, umgeben von Bergen. Deshalb ist es nicht einfach, überhaupt dorthin zu gelangen. Ich hatte gelesen, dass man nur durch einen schmalen Tunnel nach Horcajo gelangt und bin schon gespannt, wie das aussieht. Als ich vor dem Eingang stehe, bin ich noch mehr besorgt als erstaunt. Der Tunnel ist tatsächlich ein Single-Track und stockdunkel. Da soll ich jetzt reinfahren?
Da es mir unmöglich erscheint, schon beim ersten Zwischenziel zu kneifen, schalte ich die Zusatzlichter an und fahre hinein. Dabei frage ich mich selbst, ob das hier wirklich der Tunnel nach Horcajo ist oder gar die Mineneinfahrt? Immerhin besteht der Untergrund aus einer Art Asphaltdecke, das lässt mich hoffen.
Die schwarze Röhre ist einen Kilometer lang und beherbergt ein paar fiese Löcher im Asphalt. Ich komme ohne Blessuren auf der anderen Seite an und fahre vorbei an ein paar Häusern, bei denen ich nicht sicher bin, ob die bewohnt sind.
Die Strasse „durch Horcajo“ ist nicht lang und ich stelle das Motorrad am Ende der ehemaligen Ortschaft an einem Brunnen ab. Sehr viel ist hier nicht mehr zu sehen. Als ich die Gegend im Winter per Google Maps – oder besser per Satellitenansicht – erkundet habe, konnte man noch die Grundmauern der ehemaligen Häuser erkennen. Vom Boden aus ist das deutlich schwieriger.
Die Kirche steht noch und ich laufe die paar Schritte hoch auf den Hügel, um zu schauen, was von ihr übrig ist.
Der beste Teil befindet sich auf der Rückseite mit den Resten des Turms. Hineingehen kann ich aber nicht.
Es ist Nachmittag und die Sonne brennt. Ich freue mich auf etwas Fahrtwind und begebe mich wieder in Richtung Tunnel. Kurz vor dem Eingang bemerke ich tatsächlich einen Mobilfunkmast. Selbst hier in diesem abgelegenen Tal gibt es tadellosen Empfang. In Spanien, so wie in den meisten anderen Ländern, ist das heute normal. Ich kenne eine Ausnahme…
Die andere Seite des Tunnels sieht ähnlich düster aus wie zu Beginn, aber diesmal bin ich vorbereitet und weiß auch ungefähr, wo die schlimmsten Löcher sind.
Als ich auf der anderen Seite herauskomme, steht am Rand der Piste ein kleines gemauertes Etwas. War das vorhin auch schon da?
Beim genaueren Hinschauen sehe ich mittig an der Vorderseite einen Knopf, der meine Neugier weckt. Ich drücke ihn und erwarte den Start einer Interkontinentalrakete, aber nichts passiert. Seltsam.
Die Position des kleinen Bauwerks lässt mich einen Zusammenhang mit dem Tunnel vermuten und ich fahre nochmal 100 Meter zurück zum Eingang. Und siehe da: Im Tunnel sind jetzt die Deckenleuchten eingeschaltet und eine Art Ampel über dem Eingang zeigt grün. Ich vermute, die Gegenseite zeigt jetzt rot.
Falls du also mal zu den „Minas del Horcajo“ fährst: Nutze den Knopf vor dem Tunneleingang, der hat eine sinnvolle Bedeutung.
Zurück auf der Landstrasse geht es durch die spanische Pampa in Richtung Norden. Der ersehnte Fahrtwind lässt die Hitze erträglich erscheinen.
Dann erreiche ich die bemerkenswert schöne Stadt Toledo. Sie erscheint unvermittelt vor mir, als ich über einen Hügel komme und diesen auf der Gegenseite wieder herunterfahre.
Auf der anderen Seite des Flusses Tajo liegt die Stadt. Sie galt im Mittelalter als Hochburg der Waffenschmiede. Bestimmt wäre sie sehenswert, aber meine Abneigung gegen das Durchfahren von Städten im Hochsommer auf dem Motorrad ist zu gross. Ausserdem liegt mein nächstes Tagesziel in greifbarer Nähe, nur 90 Kilometer weiter.
Speziell die Gegend westlich von Madrid ist übrigens landschaftlich wundervoll. Kleinste Strassen führen durch Wälder, Hügel und Täler. Zum Motorrad fahren ist das einfach fantastisch!
Dann sehe ich in der Ferne weisse Schüsseln aus dem Wald ragen. Sie gehören zum „Madrid Deep Space Communications Complex“ oder kurz MDSCC. Das MDSCC – mein nächstes Ziel – wurde 1961 gemeinsam mit der NASA entwickelt und dient der Verfolgung von Raumsonden.
Abgesehen davon, dass die Anlage direkt mit meinen ersten beiden Ausbildungen zu tun hat, wurden hier bahnbrechende Weltraum-Missionen unterstützt. Dazu gehören zum Beispiel die Apollo 11 Mission, immerhin die erste Mondlandung und beide Voyager-Missionen. Recht bekannt sind Voyager 1 und 2, weil an ihr die berühmten „Golden Records“ befestigt sind, die interstellaren Zivilisationen Hinweise auf unsere Menschheit geben soll. (Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist…)
Das da unten ist die DSS-63-Antenne mit einem Durchmesser von 64 Metern. Die Schüssel alleine wiegt 3500 Tonnen, die gesamte Konstruktion 8000 Tonnen. Das Gelände ist aus nachvollziehbaren Gründen vollständig umzäunt, aber am Eingang gibt es ein Besucherzentrum, in dem man die Geschichte der Anlage, die Technik und die heutige Nutzung vermittelt bekommt.
Als ich abfahre und über den nächsten Hügel komme, kann ich in der Ferne die Silhouette von Madrid erkennen. Aber wenn ich schon Toledo nicht besucht habe, werde ich das erst recht nicht mit Madrid machen.
Nur wenige Kilometer weiter liegt „El Escorial“. Das ist ein riesiges königliches Schloss und Kloster und steht seit 1984 auf der World Heritage Liste. Der vollständige Name lautet „Royal Monastery of San Lorenzo de El Escorial„. Mit mehr als 33.000 Quadratmetern „Wohnfläche“ ist es marginal grösser als unsere Hazienda östlich von Malaga…
Traditionell werden dort die spanischen Könige beerdigt. Das Gebäude wurde 1584 fertiggestellt und steht seit 1984 auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerbe.
Da wollte ich aber gar nicht hin. El Escorial war nur zufällig im Weg, kurz bevor ich das eigentliche Ziel erreiche: Valle de los Caidos.
Das Caidos (ich kürze mal ab) ist eine monumentale Gedenkstätte für die Gefallenen im spanischen Bürgerkrieg und genau genommen ein riesiges Massengrab. Zudem beherbergt die Gedenkstätte ein Mausoleum und ein gewaltiges 152 Meter hohes Betonkreuz.
Bis 2019 befand sich hier das Grab des spanischen Diktators Franco, aber die Sozialisten meinten, Franco müsse da weg und umgebettet werden. Er liegt nun in einem Grab in einem Vorort von Madrid. Im gleichen Zuge wurde der Name der Gedenkstätte geändert.
Mich erinnert das an die Kulturrevolution in China. Im blinden Wahn wird alles zerstört, was nicht der eigenen Ideologie entspricht. Sozialisten und Kommunisten (für mich eh der gleiche Misthaufen) sind aber bekannt für derartige Aktionen. Ob das nun irgendwas bringt, müssen die Spanier selbst entscheiden.
Hier habe ich nun etwas Pech, denn heute ist die Gedenkstätte geschlossen. Sehr schade. Ich hätte mir das Tal gerne angesehen, bin aber gleichzeitig der Meinung, ich werde nochmal die Gelegenheit haben. So weit ist es nicht entfernt.
Am Abend suche ich mir eine kleine, aber schöne und einfache Pension in dem ebenfalls klitzekleinen Örtchen Los Molinos. Das Haus liegt an einem alten Dorfplatz. Vor dem Eingang stehen Schirme mit Tischen für das Abendessen und man schaut auf einen uralten Baum, der die Mitte des Platzes ziert. Es ist einfach urgemütlich und ich freue mich schon auf den nächsten Tag, der ein für mich besonderes Highlight bietet, aber dazu gleich mehr.
Der frühe Morgen erscheint mir zunächst ungewöhnlich frisch, bevor ich realisiere, wie hoch ich mich befinde. Schon nach wenigen Kilometern fahre ich mitten durch „Puerto Navacerrada„. Das ist ein Skigebiet, direkt vor den Toren von Madrid.
Die Sierra Nevada liegt praktisch vor unserer andalusischen Haustür und ist als Skiregion bekannt, aber ein Skigebiet bei Madrid hatte ich nicht auf dem Schirm. Irre.
Ich halte an und bewundere auf der einen Seite die gut sichtbaren Skipisten, während ich auf der anderen Seite in der Ferne das Kreuz des Valle de los Caidos sehen kann. Umso mehr nehme ich mir vor, Caidos irgendwann in Zukunft nochmal zu besuchen.
Aber zurück zur Route: 200 Kilometer sind es zunächst, die ich in Richtung Burgos fahre und es geht über die mir wohlbekannten, leeren Landstrassen, vorbei an alten Burgen und durch weite, einsame Felder.
Einmal komme ich an einer kleinen Siedlung vorbei, bei der die Häuser alle in den Hang gebaut sind. Das sieht mir alles ziemlich seltsam aus, aber mangels anwesender Menschen kann ich niemanden fragen, was es damit auf sich hat. Ich mache Fotos und hoffe, die Erklärung später zu finden.
Keines der Häuser ist bewohnt und dieses Schicksal teilt dieser seltsame Ort mit vielen kleinen Dörfern im spanischen Hinterland. Irgendwann sind die Bewohner ausgestorben und die Jüngeren hat es in die Stadt gezogen.
In Spanien kann man ganze Ortschaften käuflich erwerben, weil dort niemand mehr lebt. Es ist dann nur die Frage, was man mit einem verlassenen Dorf machen soll. Um es zu rekonstruieren, dürften erheblich finanzielle Mittel nötig sein. Da ist es auch wenig hilfreich, wenn es den kompletten Ort schon für wenige hunderttausend Euro gibt. Mit „einmal durchfegen“ und dem obligatorischen Eimer Farbe ist es nicht getan.
Wobei, so als alleinherrschender Bürgermeister würde ich mir gut gefallen. Ich würde mein Dorf sofort zum motorradfreundlichsten Pueblo erklären und drumherum den Asphalt entfernen. Dazu noch eine Tankstelle mit Super Plus und einen Baumarkt. Mehr braucht Mann doch gar nicht. Ach wie wäre das fein…
Apropos Asphalt entfernen: Hier habe ich zwar nicht die Strassendecke abgehobelt, bin aber trotzdem sehr zufrieden mit der Strecke! Im Ernst, wenn du in Spanien offroad fahren willst, findest du alle paar Kilometer eine Piste die abseits der Landstrasse führt. Gar kein Problem.
Kurze Zeit später passiere ich „La Yecla“. Das ist eine markante Schlucht mit Tunneln, auf deren Nordseite sich ein Wandergebiet befindet.
Der Weg durch die Schlucht soll sich lohnen, aber ich bin viel zu neugierig auf meinen nächsten Spot. Daher muss ich diesen hier auslassen.
Der nächste Spot ist nämlich „Sad Hill“ und das muss ich erklären:
Mein Lieblings-Western ist „Zwei glorreiche Halunken“ mit Clint Eastwood, auch bekannt unter dem englischen Titel „The Good, the Bad and the Ugly“. Dieses Meisterwerk von Sergio Leone wurde zum grössten Teil in Andalusien gedreht und ich habe die originalen Drehorte schon fast alle besuchen dürfen, darunter die Kulissen in der Wüste von Tabernas und die Missionsstation im Film, die tatsächlich als kleines Kloster (Cortijo del Fraile) in der Gegend des Nationalparks „Cabo de Gata“ liegt.
Einer der berühmtesten Drehorte ist aber der Plot für die Schlusssequenz: Clint Eastwood (Der Gute oder im Film auch „Blonder“), Lee van Cleef (Der Böse) und Eli Wallach (Der Hässliche) stellen sich auf einem Bürgerkriegsfriedhof zum Duell. Der Friedhof ist um einen inneren Steinkreis angelegt und auf dem Friedhof sollen 200.000 US-Dollar aus der Kriegskasse versteckt sein.
Ich habe diese fantastische Szene immer vor Augen, wenn sich die drei Protagonisten minutenlang anschauen und gespannt sind, wer zuerst die Waffe zieht. Währenddessen läuft im Hintergrund eine der bekanntesten Melodien der Filmgeschichte. Einfach nur genial!
Für diese Szene brauchte man ein einsames Tal, bei dem es im weiten Umkreis rundherum nichts gibt, ausser Berge, die dem amerikanischen Klischee möglichst nahe kommen. Als Sergio Leone weder in Tabernas, noch im Cabo de Gata das passende Tal fand, wich er 600 Kilometer nach Norden aus, in die Nähe des winzigen Ortes Contreras, südlich von Burgos.
Da ich von Süden komme, ist der Ort „Santo Domingo de Silos“ mein Navigationsziel. Ich weiss, dass ich nördlich des Ortes über eine Hügelkette muss und es hier – auch heute noch – keine Strassen gibt. Meine ersten beiden Versuche (offroad) enden zuerst im Unterholz eines Waldes, dann auf dem Bergrücken bei einer Fahrt im Kreis. Ich muss dann wieder zurück bis Santo Domingo de Silos.
Versuch Nummer drei klappt aber und ich fahre die Schotterpiste etwas unterhalb des Bergrückens, von dem ich unten im Tal bereits den Drehort erkennen kann. „Sad Hill“ ist missverständlich, denn es müsste korrekt eigentlich „Sad Valley“ heissen. Der Friedhof liegt unten im Tal und nicht auf dem Hügel, aber egal, meine Freude ist gerade zu einfach gross!
Unten angekommen stelle ich das Motorrad ab. Mangels Schatten parkt es an einem Holzzaun in der prallen Sonne. Im Film musste „der Blonde“ zu Fuss und ohne Wasser durch die Wüste. Und wenn Clint hart ist, dann bin ich das jetzt auch.
Besonders gut gefällt mir die Ruhe hier unten. Mangels weiterer Attraktionen, Ortschaften oder Sehenswürdigkeiten in der Gegend, ist das Tourismusaufkommen überschaubar. Oder anders: Ich habe Sad Hill für mich allein. Elmar gefällt das.
Der alte Drehort (Produktionsjahr 1966) war zwischenzeitlich vergessen, aber ein paar örtliche Filmfreunde haben ihn wieder hergerichtet. Selbst die Holzkreuze stehen stilecht um den inneren Steinzirkel herum.
Es ist einfach nur wunderbar. Ich setze mich an den Rand des Kreises und lasse die Gegend auf mich wirken. Man kann förmlich spüren, wie die drei Hauptfiguren hier stehen und sich gegenseitig beäugen. Dabei ragen im Hintergrund die Berge mit ihren schroffen Felsen empor. Was für ein unglaublicher Ort!
Ich laufe umher und versuche möglichst viele Fotos zu machen. An vielen anderen Orten gäbe es Massen von Touristen, ein Kassenhäuschen und eine Umzäunung. Hier gibt es nichts davon. Im Gegenteil: Es ist schon schwer genug diesen Ort überhaupt zu finden. Einfacher ist übrigens die Anfahrt von Norden, über Contreras, wie ich später feststelle.
Oberhalb des Friedhofs steht der gute Clint als Silhouette und es gibt eine kleine Tafel mit Informationen zum Film und zur Story hinter dem Friedhof von Sad Hill.
Der Friedhof ist übrigens extra für den Film angelegt worden und kein „echter“ Friedhof. Du musst also auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn du hier genauso begeistert herumläufst wie ich.
Das war der für mich wichtigste Punkt in Spanien auf meiner Route in die Normandie. Man mag das seltsam finden, aber ich finde einfach den Film so toll und konnte alle anderen Drehorte schon besuchen. Der hier fehlte eben noch.
Ich bin ja überzeugt, dass die Gegend um Burgos nicht ohne Grund als Filmkulisse herhalten musste. Es gibt sicherlich tausend weitere „natürliche“ Motive in der Nähe, die einer Filmkulisse gerecht werden.
Einmal fahre ich zum Beispiel auf einen Hügel, der schon während der Römerzeit einen Garnisionsstützpunkt beherbergt hat. Hier liegen 2000 Jahre alte Relikte, diesmal aber hinter einer Absperrung mit Kassenhäuschen. Das war mir den Besuch dann doch nicht wert.
Weiter geht es dann über kleine Strassen und Pässe nach Osten, in Richtung spanischer Pyrenäen.
Auch hier fallen mir unterwegs immer wieder Ruinen von Ortschaften auf. Ich möchte wirklich mal wissen, wie alt die Gebäude sind und wann sie verlassen wurden, aber nie gibt es entsprechende Hinweise oder Menschen, die ich fragen könnte.
Yanguas liegt dann schon auf halben Weg in die Pyrenäen und ist wieder mal ein kleines Örtchen mit Kirche im Tal und einem durchquerenden Fluss.
Die Kirche steht ausserhalb des Dorfes zwischen grünen Bäumen im Tal am Fluss und ich nutze die Gelegenheit, der grössten Mittagshitze zu entgehen und eine Pause einzulegen.
Die schattenspendenden Bäume, zusammen mit dem kühlen Wasser des Flusses wirken Wunder wenn einem ansonsten die Sonne den ganzen Tag auf den Helm brennt.
Über die weitere Route verliere ich nicht so viele Worte. Ich mache nur ab und zu ein paar Fotos, damit du erahnen kannst, wie schön und entspannt man durch Spanien fahren kann.
Hätte mir vor 10 Jahren jemand erzählt, wie sehr ich dieses Land einmal lieben würde, ich hätte es nicht geglaubt. Die Zustände, die mittlerweile in Deutschland herrschen, machen es mir aber leicht.
Ach so, fast hätte ich es vergessen. Ich habe unterwegs schon so viele verlassene Orte gesehen, einen davon hatte ich tatsächlich vorab in meine Planung einbezogen: La Escurquilla
Das ist ein Geisterdorf, welches oberhalb eines Flusses in den Bergen liegt. Ich gelange wieder einmal nur auf Schotter dorthin. Das ist übrigens auch der Grund wieso ich so gerne Reiseenduro fahre. Es gibt nicht so viel was dich stoppen kann. Im Prinzip kommst du mit so einer Maschine überall durch. Auch dann, wenn der Rest der vier- und zweirädrigen Konkurrenz schon die Segel gestrichen hat.
Die Piste hoch zum ehemaligen Dorf ist schmal und an einigen Stellen zugewuchert. Auf dem Weg dorthin liegen ein paar Kühe im Weg und geben die Bahn nur widerwillig frei.
Soweit ich weiss wurde La Escurquilla schon in den 1960er Jahren aufgegeben und verfällt seitdem, was man am Zustand der Ruinen gut erkennen kann. Hier lebten vor allem Familien in Selbstversorgung.
Die Wege durch das Dorf sind teilweise unbefestigt und selbst da, wo es mal eine Oberfläche aus Steinen gegeben hat, ist viel Gras gewachsen.
Das – wie üblich – am besten erhaltene Gebäude ist die Kirche. Zwar ist das Dach teilweise eingestürzt, aber ich begebe mich trotzdem hinein. Selbst die alten Malereien an den Wänden und dem Rest der Decke sind noch zu erkennen. Die maroden Balken oben sind allerdings eine ernstzunehmende Gefahrenquelle und ich bin hier ausgesprochen vorsichtig.
Erstaunt bin ich, als ich um die Kirche herumlaufe und auf der Nordseite einen kleinen Garten entdecke. Dort stehen noch drei Grabsteine, die relativ neu aussehen. Irgendjemand kümmert sich offenbar um die Pflege.
Bemerkenswert finde ich vor allem den Grabstein ganz rechts. Hier ist eine Dame mit Namen Vicenta beerdigt, die immerhin das stolze Alter von 101 Jahren erreicht hat. Spanien gilt als Land mit einer sehr hohen Lebenserwartung. Die Herzinfarktqoute hier ist niedrig.
In Spanien ist es übrigens sehr oft so, dass auf Grabsteinen das Todesdatum und das Alter stehen. Auf das Geburtsdatum wird in der Regel verzichtet.
Etwa eine halbe Stunde halte ich mich in La Escurquilla auf und fahre dann wieder runter zur Landstrasse. Jetzt sind es noch gut 100 Kilometer bis Pamplona und ich möchte grossräumig an der Stadt vorbei und mir in den Pyrenäen, noch auf spanischer Seite, eine Übernachtung suchen.
Unterwegs mache ich nochmal ein paar Foto-Stopps an einem Berghang, in den recht viele Höhlenwohnungen gebaut wurden.
Ich nehme an, man kann sich die Behausungen ansehen, da an einer Stelle sogar eine Holztreppe gebaut wurde. Aber heute habe ich keine Lust mehr auf weitere Relikte aus der Vergangenheit.
Wenn ich am späten Nachmittag eine kleine Pension in den Bergen und etwas zu essen finde, bin ich zufrieden.
Meine Wahl fällt auf das winzige Pyrenäen-Örtchen Viscarret-Guerendiain, in der spanischen Provinz Navarra. Dort gibt es mit dem „La Posada Nueva“ ein familiengeführtes Haus mit wenigen Zimmern, die einfach, aber sauber und gemütlich sind. Zudem gibt es ein Frühstück, das nicht erst um 9 Uhr beginnt.
Direkt gegenüber befindet sich eine Bar, die am Abend Essen serviert und zudem unschlagbar günstig ist. Nur mein Motorrad muss heute neben dem Haus am Strassenrand parken. Aber ich mache mir hier, abseits der Landstrasse überhaupt keine Sorgen.
Der Morgen empfängt mich mit Nebel über den Berggipfeln und es ist einer dieser Tage, an denen man schon am Morgen weiss, dass er richtig gut wird.
Über leere Strassen und kleine Pässe fahre ich jetzt in Richtung Frankreich.
Da es offenbar ein traumhafter Fahrtag wird, will ich heute nicht bummeln, sondern stattdessen Strecke machen. In Frankreich Landstrasse zu fahren, macht aus meiner Sicht nicht ganz so viel Spass wie in Spanien, da auf den Strassen deutlich mehr Verkehr ist. Ausserdem vermiesen einem gefühlte 100.000 über das ganze Land verteilte Blitzer die Laune, die bei den maximal erlaubten 80 km/h fette Beute machen und schon bei geringster Übertretung anschlagen. Die Post mit dem saftigen Bussgeld kommt dann ein paar Wochen später nach Hause. Ganz doof.
Ein Mal mache ich aber Halt in dem sehr schönen Ort Saint-Jean-Pied-de-Port, weil es dort wirklich feine Fotomotive gibt.
Ansonsten will ich über die Strecke nicht viele Worte verlieren. Wer es aber wissen möchte: Die Route führt über Mont-de-Marsan, Marmande, Bergerac, Perigueux und dann westlich von Limoges vorbei.
Dort komme ich am Nachmittag an und kann mich auf mein erste Ziel in Frankreich vorbereiten: Oradour-sur-Glane.
Oradour ist zudem nicht irgendein Ort, sondern – ganz im Sinne meiner Geschichtstour – ein Ziel mit erheblichem Hintergrund:
Wir schreiben das Jahr 1944 und die deutsche Wehrmacht hält auch diesen Teil des Landes noch besetzt. Wenige Tage zuvor sind die Alliierten in der Normandie gelandet und eine Einheit der Waffen-SS wird von Limoges aus in Richtung Oradour beordert, um den französischen Widerstand zu bekämpfen.
Der deutsche Trupp, bestehend aus 150 Männern, riegelt Oradour ab, massakriert zuerst die Männer des Dorfes und schliesst dann Frauen und Kinder in der Kirche ein. Auch sie werden alle getötet. Insgesamt fallen über 600 Bewohner von Oradour dem Verbrechen zum Opfer.
Schon im November des gleichen Jahres wurde von der provisorischen französischen Regierung beschlossen, Oradour-sur-Glane als Mahnmal zu erhalten. Der Ort sollte genau so bestehen bleiben, wie er von den Massenmördern der SS verlassen wurde.
Da Oradour praktisch genau auf meiner Route in die Normandie liegt und ich mir das unbedingt ansehen wollte, habe ich diese Gedenkstätte schon früh in meine Planung einbezogen.
Ich komme von Süden und stehe zunächst vor einem verschlossenen Tor, genau an der Stelle, an der 1944 die Wehrmacht in den Ort eingefallen ist. Auch die Kirche ist schon gut zu erkennen. Aber ich muss zuerst auf der Landstrasse um den Ort herumfahren. Der Eingang liegt direkt westlich der Ruinen.
Ich parke das Motorrad auf einem Platz am Rande des neu aufgebauten Ortes Oradour und laufe dann zu Fuss den Hügel hinunter zum offiziellen Eingang, der durch ein Museum, unterhalb der Strasse führt.
Das Museum schaue ich mir nur kurz an, denn die Hintergründe – schlimm genug – sind mir bekannt und ich will gleich direkt in das historische Dorf. Es ist unglaublich und gerade die Belassenheit der Ruinen in ihrer damaligen Form, geben dem Ort eine besondere Aura.
Wenn man durch die Strassen läuft, kann man sich das ursprüngliche Aussehen gut vorstellen. Im selben Moment ist es gespenstisch.
Das dunkelste Kapitel des Massakers war aber die Ermordung der Frauen und Kinder in der Kirche. Schwer vorstellbar, zu welchen Taten Menschen in der Lage sind. Gleichzeitig unglaublich, wie manche „Offiziellen“ – gerade in Deutschland – sich heute in Kriegstreiberei ergehen. Sowohl jene, die sich den Frieden einst auf ihre Fahnen schrieben, wie jene, die sich in den Dienst der Waffenlobby gestellt haben. Echt widerlich. Ich wünschte, sie würden einmal hierher kommen, schauen und einfach nur den Mund halten.
Oradour verlasse ich schweigend. Nach dem Besuch fällt es schwer, die Gedanken zu ordnen. Irgendwo an einer Landstrasse biege ich ab in den Wald, um zu einem Menhir aus prähistorischer Zeit zu fahren.
Einerseits würde er irgendwie in meine Historientour passen, aber ich will nur auf andere Gedanken kommen. Das klappt schon allein deshalb, weil ich durchs Gebüsch fahren muss und die Strecke bis zum Stein nur ein Waldweg ist.
Es funktioniert irgendwie, aber ich habe nicht behalten, wie die Daten des Steins sind oder wo genau im Wald der steht. Dafür bin ich jetzt aber gedanklich beim nächsten Streckenpunkt, schon fast im Norden Frankreichs, am Fluss Sarthe.
Kenner dürften jetzt ahnen, was auf meiner Liste steht. Für alle anderen und mich selbst kümmere ich mich zuerst um eine Bleibe für die Nacht.
Es geht vorbei an ein paar wirklich schönen Schlössern und Burgen nach Poitiers. In Poitiers übernachte ich in irgendeinem nicht erwähnenswerten billigen Hotel am Stadtrand. Vorher muss ich noch tanken.
Ach ja, da war doch was: Meine beiden luftgekühlten BMW GS sind Baujahr 2010 und 2013 und wünschen Super Plus. Und wann immer das verfügbar ist, gebe ich ihnen, was sie verlangen. In Frankreich macht aber auch das tanken keinen Spass. Ich befülle für 2,02 EUR den Liter und bin froh, dass ich „nur“ Motorrad fahre. In Spanien bin ich einen Literpreis von etwa 1,40 EUR für Superbenzin gewöhnt und das ist viel erträglicher.
Aber zum nächsten Tag: Meinem Navi gebe ich einen kleinen Vorort, südlich von Le Mans als Ziel. Es geht nach Arnage, bzw. etwas abseits des Ortes an einen Kreisverkehr. Dort erwarte ich einen Blick auf die Strecke eines der berühmtesten Rennen der Welt: Die 24 Stunden von Le Mans.
Die Strecke wird seit 1923 jedes Jahr für die Austragung des Langstreckenrennens gesperrt. Ausserhalb des Rennens sind grosse Teile davon Landstrasse, ähnlich wie es vor vielen Jahren in Spa-Franchorchamps oder auch am Nürburgring (dort nur im Bereich der Südschleife) der Fall war.
Ich bin nicht ganz sicher, wie genau das in Le Mans heute aussieht, deshalb ist meine Neugier gross.
Meine ersten Blicke auf die Strecke sind die Folgenden. Habe ich mich verfahren? Stehe ich wirklich direkt auf der Strecke?
Ich bin begeistert! Ehe ich mich versehe, befinde ich mich unmittelbar auf dem berühmten Track und stelle das Motorrad neben den Curbs ab. Da ich gerade auf Mitas-Reifen unterwegs bin, parke ich aber auf dem gelben Streifen. Nicht, dass ich noch Ärger mit Goodyear bekomme…
Die Strecke ist ausserhalb des Rennens immer noch eine für den allgemeinen Verkehr genutzte Landstrasse und selbstverständlich muss ich die entlang fahren.
Zu meiner aktiven Zeit wollte ich immer mal hierher. Dass ich heute hier – wenig stilecht – auf zwei Rädern unterwegs bin, schmälert meine Freude aber nicht. Ich habe null Talent, auf dem Motorrad im Renntrim unterwegs zu sein, ganz anders als früher auf vier Rädern. Aber trotzdem ist es toll, diesen geweihten Boden befahren zu können.
Vom fast südlichsten Punkt der Rennstrecke möchte ich natürlich noch zum Startpunkt. Also fahre ich hoch zu den Tribünen. Kurz vorher komme ich noch am Porsche Experience Center vorbei, dem ich selbstredend auch noch einen Besuch abstatten muss.
Vor dem Gebäude stehen zwei besonders begehrenswerte Exemplare. Der linke hat zwar nicht meine Farbe, geht aber trotzdem in Ordnung. Ich mag die aufwändige Aerodynamik im Vergleich zu den GT2 und könnte mich gar nur schwer entscheiden.
Das Hauptproblem: Diese wunderbaren Fahrzeuge sind nicht mit unserem Wohnsitz kompatibel. Wir leben abseits eines Dorfes am Berg. Der Meerblick ist wirklich fantastisch, aber leider würden Frontspoiler, Seitenschweller und Flaps schon auf den ersten Metern zertrümmert im Dreck liegen. Sehr schade!
Na gut. Man kann nicht alles haben. Ich fahre noch zum Haupteingang der Rennstrecke, mache den obligatorischen Fotostopp und schwinge mich dann wehmütig auf die Maschine, zur Abfahrt in Richtung Norden.
Das war toll und ein feines Kontrastprogramm. Motorsport ist was feines und wer noch nie live an einer Rennstrecke gestanden hat, sollte dies dringend nachholen (Solange nicht auch das noch verboten wird). Einem Rennen mit Verbrennungsmotoren beizuwohnen, ist einfach unbeschreiblich. Der Sound und die Atmosphäre. Ach, das waren bessere Zeiten.
Szenenwechsel: Meine Route führt nun vorbei an Caen und Bayeux, hoch in die Normandie. Die erste Erkenntnis lautet, dass die Landschaft hier überraschend schön ist. Wundervolle alte Gemäuer in gross und klein wechseln sich ab und nahezu alle sind hergerichtet und in einem bemerkenswert guten Zustand.
Was ebenso auffällt ist, dass überall amerikanische, britische, kanadische und französische Fahnen hängen. Die Landung der Alliierten in der Normandie fand bekanntlich 1944 statt und wir schreiben das Jahr 2024. Ich weiss nicht, ob das hier jeden Sommer so aussieht, aber offenbar wurde zum 80. Jahrestag etwas aufwändiger geschmückt.
Die Decknamen der Landungsstrände lauteten von West nach Ost Utah Beach (Amerikaner), Omaha Beach (Amerikaner), Gold Beach (Briten), Juno Beach (Kanadier), Sword Beach (Briten) und erstrecken sich von Sainte-Mère-Église bis fast nach Cabourg, nordöstlich von Caen. Das entspricht einer gerade gezogenen Küstenlinie von rund 90 Kilometern.
Man kann sich kaum vorstellen, was für ein Aufwand getrieben wurde, um Mensch und Material über diese Ausdehnung an Land zu bringen.
Ich möchte hier auch nicht alles zur Operation Overlord bzw. zum D-Day wiederholen. Dazu gibt es an anderen Stellen viel bessere und ausführliche Informationen. Ich versuche aber, möglichst viele passende Links zu setzen, falls du mehr Details zu den einzelnen Punkten wissen möchtest.
Alleine in der Region der Landungsstrände könnte man sicherlich eine ganze Woche verbringen.
Hier stehen übrigens überall noch Relikte der Operation von 1944 herum.
Eigentlich will ich alles abfahren, aber der Zeitbedarf dafür ist enorm. Ich lasse die berühmte Kirche in Sainte-Mère-Église (Die mit dem Fallschirmspringer) aus und möchte am Pointe-du-hoc beginnen.
Der Pointe-du-hoc war eine stark befestigte deutsche Anlage mit Kanonen und Luftabwehr. Sie hätte die Landung erheblich behindert und sowohl Omaha Beach also auch Utah Beach unter Beschuss genommen.
Also war der Plan, mit Rangern die Stellung zu erobern und die Kanonen auszuschalten. Vorab wurde Pointe-du-hoc massiv von der Luft aus bombardiert. Unzählige Bombentrichter sind heute immer noch gut zu erkennen.
Leider kann ich nicht ganz nach vorne zum Ranger-Denkmal, da dort gerade gebaut wird. Aber man bekommt trotzdem einen sehr guten Eindruck von dieser berühmten Stelle.
Auch die deutschen Bunkeranlagen sind noch recht gut erhalten.
Viele der Bunkeranlagen kann man begehen und sich anschauen, was auch eine grosse Anzahl weiterer Besucher macht. Ich bin ohnehin beeindruckt, wie viele Touristen hier unterwegs sind. Ich hatte schon ein paar erwartet, aber diese Mengen finde ich enorm.
Von hier aus fahre ich in Richtung Osten, denn dort möchte ich zum Omaha Beach. Das ist wahrscheinlich einer der bekanntesten Abschnitte und dort liegt auch der amerikanische Soldatenfriedhof. Erstmal geht es aber über die vielen kleinen Landstrassen und vorbei an den schönen historischen Bauernhöfen.
Ich fahre zunächst nach Vierville-sur-Mer, wo es eines von mehreren kleinen Museen gibt. Bei der Landung wurde so viel Militärgerät verwendet, dass heute noch an allen Ecken einzelne Fahrzeuge stehen.
Auch von den mobilen Landungsbrücken, die zum Absetzen der Fahrzeuge von See genutzt wurden, gibt es noch viele. An einem Strandabschnitt habe ich einige gesehen, die immer noch im Wasser liegen, als wäre die Landung gestern erst erfolgt.
Bei Vierville kann ich die Strandstrasse entlang nach Colleville-sur-Mer fahren. Dort direkt an der Küste liegt der amerikanische Friedhof. Wenn man am Strand entlang fährt, kann man sich gut vorstellen, was damals hier los gewesen ist.
Zwischen Colleville und dem Strand erreiche ich den amerikanischen Friedhof und hier ist noch mehr Betrieb als am Pointe-du-Hoc.
Vielleicht hast du die Bilder schon mal gesehen. Im Film „Der Soldat James Ryan“ mit Tom Hanks in der Hauptrolle wurde die Eröffnungsszene hier gedreht.
Der Friedhof mit seinen unendlich vielen weissen Holzkreuzen hat mir für diesen Tag den Rest gegeben. Ich brauche jetzt eine Pause und mache für heute Feierabend. Meine Wahl fällt auf ein kleines Hotel in einem alten Landgut, weil es auch ein Restaurant bietet und ich nicht mehr für Lebensmittel durch die Gegend irren will.
Das Zimmer ist sauber und zweckmässig und ich freue mich schon auf ein anständiges Abendessen. Aber im gleichen Moment überkommt mich eine gewisse Vorahnung. Man redet ja häufig vom Essen „wie Gott in Frankreich“. Ich konnte das bisher noch nicht nachvollziehen. Entweder ich hatte immer Pech oder das Klischee stimmt schlichtweg nicht.
Essen soll es ab 19 Uhr geben, also stapfe ich mit mächtig Hunger pünktlich über den Innenhof zum Restaurant. Erster Eindruck: Mein Eintreffen wird mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert, obwohl ich meinen Dinner-Wunsch beim Checkin kundgetan habe. Sogar geduscht und umgezogen bin ich.
Die Speisekarte raubt mir den Atem. Nicht wegen der kulinarischen Beschreibung, sondern wegen der Preisgestaltung. Die ist in Frankreich so üblich, das ist mir bekannt, aber trotzdem bin ich immer wieder verwundert, welche betriebswirtschaftlichen Reserven manch eine Kalkulation beherbergt.
Na gut, dafür bestelle ich kein 4-Gänge-Menü und entscheide mich für eine Salat-Variante als Hauptspeise. Nach ausgedehnter Zubereitungszeit erhalte ich eine zurückhaltende Kreation auf einem Teller, dessen Grundfläche erhebliche Reserven bietet. Loriot würde sagen: „Sehr übersichtlich angeordnet…“
Ich verbuche das Restaurant unter den in Frankreich häufig anzutreffenden Schickimicki-Lokalitäten. Wahrscheinlich bin ich zu anspruchsvoll, oder zu geizig, oder einfach nicht Frankreich-kompatibel. Immerhin geht das Frühstück in Ordnung. Mein Normandieprogramm kann weitergehen.
Die Gegend um Longues-sur-Mer ist der nächste Reisespot, weil es dort am Strand eine alte Batterie mit Kanonentürmen gibt. Die sollen ganz gut erhalten sein und stehen deshalb auf meiner Liste. Der erste Bunker hat aber ordentlich was abgekriegt.
Ein paar Meter weiter liegen gut erhaltene Anlagen, in denen sogar noch die Geschütze vorhanden sind.
Zum Schluss besuche ich noch einen Beobachtungsposten, von dem man damals wohl einen guten Blick zum Meer hatte. Schade, dass man nicht einfach nur die Landschaften genossen hat, sondern auf Konfrontation aus war.
Ich habe den Eindruck, es reicht mir nun mit der Tour an der Küste entlang. Die Landschaft der Normandie ist traumhaft. Deshalb will ich mich nicht nur mit den dunklen Zeiten der deutschen Geschichte befassen.
Bei Arromanchens-les-Bains gibt es nochmal eine sehenswerte Stelle am östlichen Ortsrand. Dieser Teil hier war der „Gold Beach“ der britischen Einheiten und hier sind die Royal Engineers mit ihren Ponton-Brücken an Land gegangen. Da es nicht möglich war, einen der bestehenden, besetzten Häfen zu erobern, legten die Alliierten im Juni 1944 einen künstlichen Hafen vor der Küste an. Dieser Hafen hatte den Namen „Mulberry Harbor“ und sollte als Ausgangspunkt der weiteren Operationen in diesem Abschnitt dienen.
Ich halte dann nochmal ein Stück weiter an einem anderen Teil des Gold Beach.
Mein letzter Stopp in der Normandie ist Juno Beach, welcher der dritten kanadischen Division zugewiesen war. Mit Juno habe ich dann auch den letzten der Landungsstrände besucht.
Dann komme ich durch Benouville und der Ortsnamen kommt mir ebenfalls bekannt vor. Was war hier nochmal? Zuerst fällt es mir nicht ein, aber als ich den Fluss überquere, wird es offensichtlich: Hier befindet sich die Pegasus-Bridge, die bei der Landung ebenfalls eine besondere Rolle gespielt hat.
Streng genommen ist es allerdings nicht die historische Brücke, sondern ein Nachbau von 1994. Die alte Pegasusbrücke steht als Denkmal etwas abseits, nur 150 Meter nördlich der aktuellen Brücke.
Beide Bauwerke sind sich sehr ähnlich und ich muss mir das alles auch hier nochmal genauer anschauen. Die Brücke war strategisch von enormer Bedeutung und wurde im Rahmen der Operation Tonga erobert.
Auch in Frankreich möchte ich gerne Landstrasse fahren statt Autobahn, aber man kommt hier wirklich nicht gut voran und ich fahre immer wieder auch mautpflichtigen Teilstücke.
Also mache ich nun etwas Strecke und habe in Frankreich keine weiteren Stopps geplant. Es geht über Honfleur und Rouen nach Amiens, dann nach Saint-Quentin und bei Hirson bei den westlichen Ardennen über die Grenze nach Belgien.
Von der Grenze hier sind es nur noch etwa 30 Kilometer bis nach Brûly-de-Pesche. Ich habe Brûly auf meiner Liste, weil sich in diesem kleinen belgischen Dorf das Hauptquartier für den Frankreich-Feldzug befand: Deckname „Wolfsschlucht I„. Wobei „Dorf“ hier übertrieben ist. Brûly besteht auch heute noch aus nur acht Häusern und der Kirche.
Der Ort liegt mitten im Wald und ich grüble darüber nach, wie man damals wohl auf die Idee gekommen ist, sein Hauptquartier hierher zu verlegen, in diese abgeschiedene Gegend. Die Antwort erhalte ich wenig später…
Eines der Häuser hat ein paar Schirme vor der Tür und sieht aus wie ein Cafe oder eine Bar. Dort kann man sich für ein paar Euro einen Audioguide leihen, der in verschiedenen Sprachen (ausser deutsch) die Hintergrundinformationen zu dieser Stätte vermittelt.
Mit dem Guide laufe ich los in Richtung Kirche. Auf dem Weg gibt es immer wieder kleine Schilder mit Nummern. Man drückt dann die Taste mit der entsprechenden Nummer und bekommt die passende Erläuterung.
Die Kirche zum Beispiel wurde von Adolf kurzerhand zum Kino und als Ort für das Kartenstudium umfunktioniert. Er hat das Gotteshaus dazu einfach ausräumen lassen.
Von der Kirche aus sind es nur wenige Meter in den Wald, wo sich die Gebäude der Wehrmacht befanden. Ausserdem wurde hier der Bunker für Hitler aus mehr als 600 Kubikmetern Beton errichtet.
Eher unspektakulär gebaut ist die kleine halbrunde Natursteinmauer und daneben ein Wasserbecken. Hitler sollte sich hier im heissen Sommer erfrischen können.
Wenn ich mir den Tümpel so anschaue, ist der aber maximal für ein Fussbad geeignet. Andere Bauten der Nazis waren deutlich grösser. Vielleicht war die gesamte Anlage einfach zu klein und zu wenig auf die Bedürfnisse ausgerichtet. Hitler war nur etwa drei Wochen im Juni 1940 hier und hat wohl viel gemeckert über die seiner Meinung nach wenig angemessene Stellung. Auch war es ihm hier nicht sicher genug.
Am Ende komme ich zum Bunker, dessen einziger Zweck war, Hitler vor einem Luftangriff zu schützen. Man kann ihn von zwei Seiten betreten und vom „Flur“ zweigt dann mittig der kurze Gang zu einem kleinen Raum ab.
Adolf hat sich angeblich bitter über den Bunker beschwert und dann geweigert, ihn nochmal zu betreten. Schaut man sich den lächerlichen Raum im Innern an, kann man das sogar nachvollziehen. Der Charme liegt irgendwo zwischen, Betonsarg, Einzelzelle und Kellerloch.
Etwas abseits gibt es noch den Nachbau eines Quartiers des belgischen Widerstands, in Form eines in die Erde gegrabenen Unterstands, dessen Komfort ebenfalls überschaubar ist.
Und warum nun gerade dieser Ort als Führer-Hauptquartier? Brûly lag abseits, ohne grössere Städte in der Nähe, aber doch dicht genug an Frankreich. Man konnte (und hat) die wenigen umliegenden Gehöfte enteignet und die Bewohner angewiesen, nach Couvin und Philippeville zu verschwinden. Es war also einfach, die lokalen Bewohner loszuwerden. Ausserdem bot der dichte Wald die nötige Deckung und Abgeschiedenheit.
Der weitere – und vor allem in Sachen Kommunikation – wichtige Punkt war, dass es hier eine bestehende Telegrafenleitung gab. So konnte man direkt mit der Frontlinie und mit Berlin kommunizieren.
Alles zusammen hat dann den Ausschlag für Brûly gegeben.
Ich verlasse Brûly weil es schon spät ist und fahre ich noch 50 Kilometer bis Mettet. Da soll es ein preiswertes Hotel geben.
Das Hotel in Mettet ist flammneu und wird offenbar von einer grossen chinesischen Familie betrieben. Im Erdgeschoss gibt es ein chinesisches Schnellrestaurant (ohne Schickimicki), im ersten Stock ein normales, chinesisches Restaurant (ohne „Schnell“) und im zweiten Stock wirklich gescheite Zimmer (mit allem Komfort) für wenig Geld.
Hier passen Preis-Leistungsverhältnis und Nahrungsangebot zu meinen Anforderungen, wobei die belgische Küche sonst nicht unbedingt mein Favorit ist. Aber ok, die Küche hier ist ja auch chinesisch…
Am nächsten Tag geht es nur schnell ins Münsterland um ein kleineres Problem mit den Reifendrucksensoren zu fixen. Nach dem Wechsel der Sensoren in Spanien hatte ich eine Werkstatt erwischt, die mit der Programmierung der Neuen überfordert war. Das blinkende Gebimmsel im Display habe ich während der Tour unter einem Streifen Isolierband verdrängt.
Ich habe dann entscheiden, die Sache in der alten Heimat zu beheben. Dabei kommt es dazu, dass kurzzeitig mal wieder drei Mopeds in der Garage stehen.
Drei Tage später bin ich auch schon wieder auf der Strasse um in Richtung Westalpen zu fahren. Nach der eher heftigen 2023er Tour durch Marokko und die Westsahara will ich dieses Jahr etwas entspannter unterwegs sein.
Die Route des Grandes Alpes bin ich 2018 schon komplett gefahren, aber dort unten soll es auch tolle Offroad-Strecken geben, die würde ich gerne befahren. Und dann habe ich auf der 2018er Tour noch eine vielversprechende Piste unterhalb des Col de la Bonette entdeckt. Die hat ebenso meine Neugier geweckt.
Aber das ist dann die nächste Geschichte…
Hans Herfurtner 01/11/2024
Servus Elmar, unglaublich gut geschrieben dein Reisebericht. Das kannst du wirklich sehr gut. Man ist direkt dabei!
Klaus 03/11/2024
Prima Elmar. — sehr schöne Tour ! Deine Motorrad Logistik erscheint nicht ganz einfach 🙂 Gruß Klaus
Reinhard 08/11/2024
Klasse knackiger Bericht. Die leeren Straßen in Zentralspanien faszinierten mich kürzlich am Weg zu meinem Winterquartier ebenso, wenn auch ich östlich von Madrid vorbei bin (westlich war Regen angesagt).