Dies ist Teil 2 meiner Balkanreise, hier ist Teil 1.
Griechenland muss ich nun leider verlassen, nicht ohne den festen Entschluss, in anderer Konfiguration hier nochmal herzukommen. Das hat mir wirklich gut gefallen.
Den Grenzübergang zwischen Griechenland und Nordmazedonien bei Niki erreiche ich am Nachmittag und es ist nur ein einzelnes Auto vor mir in der Abfertigung. Das geht hier alles recht schnell und unkompliziert. Ich zeige nur meinen Ausweis und nach einem flüchtigen Blick auf mein Kennzeichen werde ich auch schon durchgewunken. Nachvollziehbare Formalitäten in irgendeiner Form gibt es hier nicht und alles ist völlig unkompliziert.
Ich spreche ab jetzt von „Mazedonien“, auch wenn das nicht ganz korrekt ist. Man hat sich für die Landesbezeichnung auf „Nordmazedonien“ geeinigt und verzeiht mir hoffentlich, dass ich etwas abkürze.
Meine Route führt nun über Bitola, dann in Richtung Westen an das Nordende des Prespasees bis Oteshevo und von dort durch den Galicica-Nationalpark über eine Passstrasse an das Ostufer des Ohridsees.
Bitola, die drittgrösste Stadt in Mazedoniens, besteht teilweise aus post-sozialistischem Bruch, teilweise aber auch schon aus nagelneuen Gebäudekomplexen, je nachdem in welchem Viertel man nun unterwegs ist. Das Land scheint dabei zu sein, die Schäden der Vergangenheit zu beheben und ich würde mir manchmal wünschen, der eine oder andere in Deutschland könnte im Rahmen einer solchen „Bildungsreise“ mal selbst sehen, was der Sozialismus in der Welt angerichtet hat. Ich nehme aber positiv mit, dass mir Bitola jetzt auf einem guten Weg erscheint.
Mazedonien, Albanien, Montenegro, Bosnien und der Kosovo wünschen sich alle sehnlichst den EU-Beitritt und die Entscheidung ist sicher schwierig, zwischen dem Abwarten auf die Errichtung passender Strukturen und der vorschnellen Aufnahme von Ländern, die einfach noch nicht bereit sind.
Ich lasse Bitola schnell hinter mir und mache mich lieber auf den Weg in die Natur.
Der Prespasee liegt ziemlich ruhig am Strassenrand und ist unspektakulär. Das heisst, der See selbst ist schön, aber es gibt praktisch keinen Tourismus, keine touristische Infrastruktur, keine Campingplätze (nicht, dass ich die vermissen würde…) keine Restaurants, Badestrände. Ob das nun gut oder schlecht ist, dazu darf sich jeder etwas denken, ich stelle es einfach nur fest.
Irgendwo, im südlichen Drittel des Sees verläuft eine imaginäre Dreiländergrenze zwischen Griechenland, Mazedonien und Albanien. Zollkontrollen, Grenzpolizei oder ähnliche Boote kann ich auf dem See aber nicht erkennen.
Am Nordwestufer gibt es nur links den See und rechts etwas Fels, dazwischen die Strasse. Den einzigen nennenswerten Spot stellt das ehemalige Hotel Europa dar. Ich erspähe die Ruinen zwischen den Bäumen und biege deshalb spontan von der Strasse ab, da der Komplex meine Neugier geweckt hat.
Das Hotel war früher einmal der Elite des Landes vorbehalten, eine dieser typischen Funktionärsresidenzen und Sommerdomizil derer, die sich brav regierungskonform verhalten haben. (Ja, ich weiss…)
Heute ist es weitgehend zerstört, geplündert und die gesamte, sehr grosse Anlage sich selbst überlassen. Es gibt noch die Reste einer Bowlingbahn und man kann sich überall im Gebäude frei bewegen, obwohl ich das in Anbetracht des baulichen Zustands nicht alleine empfehlen würde. Selbst den Keller kann man begehen, aber es gibt ganz bestimmt freundlichere Orte.
Das alles passt zum Prespasee, der insgesamt wie im Dornröschenschlaf daliegt. Ich finde sowas auch mal gut. Man muss nicht jeden Quadratmeter dieser Erde zubauen.
Etwa drei Kilometer südlich des Hotels zweigt dann eine kleine Strasse ab in die Berge und ich bin mir zunächst unsicher, ob ich den richtigen Weg erwischt habe. Als Strasse kann man das hier jedenfalls nicht bezeichnen, denn die Oberfläche wechselt zwischen Asphaltresten, Schotter und Schlaglöchern. Das soll jetzt die Passstrasse zwischen Prespa- und Ohridsee sein? Oha!
Dabei ist dieser Abschnitt auf meiner Karte als besonders sehenswert markiert und ich habe gerade eine Erwartungshaltung, die nicht vollständig befriedigt wird. Immerhin gibt es zwischen den dichten Bäumen ab und zu einen Ausblick auf den Prespasee.
Aber was haben wir im Erdkundeunterricht gelernt? Irgendwann in der Höhe kommt die Baumgrenze. (Damit wir einen besseren Blick in die Gegend haben. Ähm, das war doch der Grund, nicht wahr?)
Jedenfalls soll das hier oben ein beliebtes Wandergebiet sein, ich bin landschaftlich im Moment aber noch nicht überwältigt. Vielleicht hat mich auch Griechenland in den vergangenen Tagen zu sehr verwöhnt?
Aber ok, je höher ich jetzt komme, desto besser wird es und ich weiss, dass im Westen der Ohridsee liegt. Da der Tag irgendwann zu Ende geht, möchte ich mir eine Übernachtungsmöglichkeit an seinem Ostufer suchen.
Oben auf der Passhöhe gibt es dann einen tollen Aussichtspunkt mit wirklich gutem Panoramablick auf den Ohridsee. Dabei ist es hier aber immer noch einsam, trotz Sommerwetter und Urlaubs-Hochsaison, jedenfalls überall sonst in Europa.
Im Ohridsee verläuft ebenfalls eine Landesgrenze zwischen Albanien und Mazedonien und er soll einer der ältesten Seen der Welt sein. Das Ufer auf der anderen Seite ist jedenfalls schon Albanien. Da werde ich später noch hinfahren.
Im Moment stehe ich aber noch oben und geniesse die Aussicht. Es gibt ein paar alte Steine, eine Art Mini-Friedhof und eine Hinweistafel auf den Nationalpark.
Mein Navi teilt mir gute 1.500 Meter Höhe mit, als von der Westseite ein Motorrad heranrauscht. Ein Serbe sagt Hallo und empfiehlt mir die Strasse hinab, die in reichlich Serpentinen verläuft und für mehr Spass sorgen soll als die Ostauffahrt der Strecke.
Der Bildschirm meines Navis verspricht schon mal ein paar Kurven auf dem Weg an das nächste Seeufer, wo ich mir zwischen den Orten Lagadin und Sveti Stefan eine Bleibe für die Nacht suchen möchte. Angeblich ist die Hoteldichte dort wesentlich höher als am Prespasee.
Unten am See komme ich am Freilichtmuseum „Bay of Bones“ vorbei. Dort hat man alte Pfahlbauten aus der Bronzezeit rekonstruiert und am Ufer neu aufgebaut. Das kann man sich mal ansehen, es ist aber nach meiner Meinung kein Pflichtprogramm.
Ein paar Kilometer weiter gefällt mir dann das Hotel „Dva Bisera“ ganz gut. Es liegt zwar direkt an der Strasse, aber dafür ist es auch nur einen Katzensprung bis zum Seeufer und das Restaurant macht augenscheinlich einen guten Eindruck. Ich habe Hunger! Das Haus ist heute mal eine Sternekategorie höher, aber ich habe da jetzt einfach Lust drauf und denke nicht, dass es mein Reisebudget sprengt..
Ich drehe zur Sicherheit noch eine Runde ums Haus und an der Strasse, fühle mich in dieser Gegend aber gut aufgehoben. Kurzzeitig scheint ein Gewitter aufzuziehen, aber es bleibt dann doch trocken und ist nur kurzzeitig mal etwas windig.
Die Rezeption ist gerade nicht besetzt und ich stehe etwas ratlos vor dem Tresen, als ein Kellner aus dem Restaurant an mir vorbeiläuft. Ich habe noch kein Wort gesagt, aber er ist sehr aufmerksam und empfiehlt mir das Motorrad einfach hinten in den Hof zu fahren und dort abzustellen. Daneben gäbe es einen kleinen Pavillon im Garten und ich soll mich dort setzen und entspannen, er würde mir erstmal ein Bier bringen und danach direkt jemanden für den Checkin suchen. Noch Fragen?
Den Abend verbringe ich dann ganz entspannt zunächst alleine auf einer der herrenlosen Strandliegen am Ufer des Ohridsees, danach wechsle ich ins Restaurant, wo am Nebentisch ein anderer Gast auf mich aufmerksam wird.
Wir kommen ins Gespräch und reduzieren dann in den folgenden Stunden gemeinsam den Weinvorrat des Hauses. Er ist geschäftlich in der Baubranche tätig, hier dienstlich unterwegs und wundert sich darüber, dass jemand aus Deutschland freiwillig und zum Spass über den Westbalkan rauscht, noch dazu alleine.
Er: „You go back to Germany now?“
Ich: „No, i would like to visit Kosovo, Albania, Montenegro and Bosnia also.“
Er: „Kosovo, sure? Dont go there, its dangerous!“
Ich: „Keep calm, i will go there, and i will survive“
Ich behaupte jetzt nicht, dass ich es geschafft habe ihm zu erklären, dass es genau das ist was ich will und dass ich es liebe und geniesse, mit jedem Atemzug und mit jedem Kilometer hier, oder wo auch immer ich eine Reise auf dem Motorrad unternehmen darf.
Ok, der Kosovo gilt nicht unbedingt als Wellnessoase Europas, aber dort gibt es auch nur Menschen, die in Ruhe ihr Leben leben wollen, dessen bin ich mir relativ sicher.
Gut ist es schon, wenn man abends Unterhaltung hat, aber auch in diesem Jahr war zum Reisestart wieder niemand dabei, auch wenn es im Vorfeld sehr wohl entsprechende Absichtserklärungen gab. Die meisten winken bei der Nennung der Reiseländer final ab und ich rätsle dann immer wieso? Glauben alle, dass auf dem Balkan nur Verbrecher wohnen und überall geschossen wird?
Ich gebe zu, anfangs war ich auch so unterwegs und hatte häufig ähnliche Bedenken. Mittlerweile kann ich darüber aber nur noch schmunzeln. Die dringlichsten Warnungen höre ich von den Menschen, welche diese Länder nie besucht haben.
Am Morgen bin ich trotz des gestrigen unterhaltsamen Abends wieder früh raus. Das Frühstück konnte ich hier schon vor acht Uhr bekommen, was in Südosteuropa eher selten der Fall ist. Aber ich nutze gerne die angenehmen Temperaturen in der Früh.
Der Ohridsee liegt noch ganz ruhig und friedlich da, keine Spur von Gefahr für Leib und Leben. Mein grösstes Risiko ist gerade, dass ich nicht mehr weiss, welchen Wochentag wir heute haben…
Es geht zunächst durch die Stadt Ohrid und dann weiter nach Struga, wo ich nach Norden in Richtung Mavrovo-Nationalpark will. Die letzte erwähnenswerte Ortschaft vor dem Drin-Tal ist Veleshta, was für die Mazedonier ein echter Villenort sein muss. Die meisten Häuser hier würden sich auch in gediegenen Vororten deutscher Städte gut machen und ich bin mir sicher, dass hier nicht der repräsentative Teil der Bevölkerung Mazedoniens zuhause ist.
Danach führt die Strasse immer an der (dem?) schwarzen Drin entlang. Das ist einer der wichtigsten Flüsse in diesem Teil des Balkans. Er durchfliesst Albanien, Mazedonien, den Kosovo und Montenegro und seine Wasserkraft wird mehrfach durch Staumauern und Turbinen für die Stromerzeugung genutzt.
Auch hier ist wieder entspanntes Reise angesagt. Das bedeutet, du fährst praktisch alleine durch die Gegend und deine grösste Herausforderung ist es, mit dir selbst klarzukommen.
Etwa auf halbem Weg zwischen Struga und Dobar halte ich an einem besonders grossen Staudamm an. Das interessiert mich nun, das mit der Wasserkraft und ich brauche sowieso eine Pause.
Ich stelle also das Motorrad ab und bin auf dem Weg in Richtung Dammkrone, wo ein Gitter mich am Weiterkommen hindert. Dass ich derartige Hindernisse regelmässig ignoriere, scheint ein älterer Techniker im Blaumann zu erahnen, der auf der Staumauer herumspaziert. Er spricht mich recht ernst an und erklärt mir, ich dürfe da nicht hin, nicht anhalten und schon gar nicht fotografieren.
Ich verstehe zwar seine Sprache nicht, brauche aber auch keine Übersetzungshilfe, bei seinen Gesten und dem Tonfall. Leicht enttäuscht aber brav den Anweisungen folgend drehe ich um und mache mich wieder zum Moped als oben an dem Rundbau, der wohl das Kontrollzentrum der Anlage darstellt, jemand nach mir ruft.
Er winkt und gestikuliert und ich soll wohl zu ihm kommen. Also wenn der mir jetzt auch noch die Kamera konfiszieren will, gibts Diskussionen denke ich, habe aber gleichzeitig nicht den Eindruck, er wäre mir gegenüber feindlich gesinnt.
Es sind etwa dreissig Stufen zu ihm hinauf und er erklärt mir, ich sei Reisender aus Deutschland (weiss ich schon!), er hätte das am Kennzeichen erkannt, er wäre Gregor, der Boss hier und er müsse mir nun seine Anlage zeigen!
Wow, denke ich, erst darf ich nicht anhalten, jetzt bekomme ich schon die zweite Privatführung (nach der in Griechenland vor ein paar Tagen) und hoffe gleichzeitig, dass es nicht wieder eine anderthalbstündige Darstellung der Frontlinien des ersten Balkankrieges wird.
Als wir oben sind und er mir sein Heiligtum zeigt, bin ich schon recht erstaunt. Nicht wegen der „ultramodernen“ Automatisierungs- und Steuerungstechnik, als vielmehr beim Anblick der Möblierung. Ich denke, ich kann hier jetzt „All-in“ gehen und frage nach einer Fotoerlaubnis. Die erhalte ich sogar prompt, ganz entgegen meiner aktuellen Erwartung.
Äh, ja, so hatte ich mir eine solche Anlage, errichtet noch in den Zeiten des Kommunismus (oder wars doch eher Real-Sozialismus?) auch vorgestellt! (Ich denke, der Unterschied der beiden Staatsformen ist im Ergebnis irrelevant…)
Dass sie hier aber alles so original und ursprünglich belassen haben, finde ich sehr authentisch und beeindruckend. (Geht das noch als Humor durch?)
Stolz präsentiert Gregor mir seine kleine Küchenzeile und ich weiss gerade gar nicht was ich denken oder sagen soll.
Ich folge ihm in jeden Raum, in sein Büro und je mehr ich sehe, desto weniger bin ich sicher, ob ich Entsetzen oder Mitleid spüren soll. Sagen wir es mal anders: Pragmatisch ausgedrückt sind die Grenzen der „Themeninseln“ Büro, Kontrollraum, Küche und Umkleide fliessend…
Ganz zum Schluss bin ich dann in der Merchandising-Abteilung gelandet, wo er seine in Heimarbeit hergestellten Bioprodukte offeriert. Betriebswirtschaftlich diversifiziert er sein Geschäftsmodell sozusagen durch Kraftwerksteuerung und Bio-Imkerei. Es gibt verschiedene Sorten Honig und kleine Stücke aus Bienenwachs, bei denen ich nicht verstehe, ob es sich um Seife oder Kerzen handelt, oder vielleicht muss man die auch lutschen?
Ausserdem gibt es noch ein kleines Sprühfläschchen, das er als „Medizin“ anpreist. Da wäre Alkohol drin und Kräuter (In dieser Reihenfolge!) und das müsse man in den Rachen sprühen und gurgeln (Er macht es vor!) und das würde auch gegen Coro… helfen. (Uups, fast hätte ich es ausgesprochen)
Rechts neben dem Tischchen stehen zwei alte Feuerlöscher und ich mache mir ernsthaft Gedanken darüber, ob er die dort präventiv deponiert hat.
Nun ja, wie verhalte ich mich jetzt? Also erstmal: Ich finde das alles total nett, echt wahr! Ich will mich auch wirklich nicht lustig machen oder so, aber hör mal: Etwas *skurril* ist das hier gerade schon, oder?
Meine Ausrede ist nun, dass ich mit dem Motorrad unterwegs bin und keinen Platz für seine tollen Produkte habe, was mir auch – wirklich – ganz doll leid tut. Ich gebe ihm einen Fünf-Euro-Schein für die private Führung und hoffe, er nimmt mir das nicht übel oder versteht das falsch.
Zum Schluss bedanke ich mich nochmal mehrfach bei ihm für die Führung und dass ich alles ganz toll finde, was auch wirklich stimmt. Ich will nicht, dass Gregor mir das übel nimmt und habe erleichtert den Eindruck, wir sind am Ende beide happy.
Ich verabschiede mich freundlich und mache mich wieder auf den Weg. Weiter geht es durch Mazedonien und die Gegend hier, am Flusslauf der/des Drin, ist sehr einfach und einsam.
Die nächste ungewollte Unterbrechung des nun schon nicht mehr so jungen Tages findet an einem Hinweisschild statt, das ich zunächst nur auf der Vorbeifahrt aus dem Augenwinkel registriere. Habe ich da etwas von Atatürk gelesen? Hier? In Mazedonien? Kemal Atatürk? Der Begründer der modernen Türkei?
Ich drehe um und fahre nochmal zu dem soeben passierten Schild, während ich mich an den Vortrag des griechischen Soldaten in dem Militärmuseum erinnere. Das Land hier, nördlich von Griechenland, war zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in türkischer Hand oder anders gesagt: Teil des osmanischen Reichs. Das haben sie mir in dem Militärmuseum in Griechenland erklärt und hier fügen sich die Informationen wieder zusammen.
Kemal Atatürk hat zu dieser Zeit gewirkt und die Gegend hier – wir erinnern uns an den Vortrag – war osmanisch, also wäre eine Verbindung zwischen dem Staatsgründer und diesem Land rein logisch herzuleiten? Ich will mir das historische Anwesen gerne ansehen und biege ab.
Leider ist mein unbeabsichtigter Abstecher mühsamer als zunächst gedacht. Der befestigte Weg endet schon nach wenigen Metern und geht in eine Schotter-Sandpiste über, die nicht so ganz perfekt zu meiner Reisekonfiguration passen will.
Ich fahre so mehrere Kilometer und habe dann zunächst die Route, dann jegliche Hinweise und am Ende auch die Orientierung verloren. Dass es hier nun zum Haus von Atatürk geht, halte ich für umso unwahrscheinlicher, je mehr Schlaglöcher ich umkreisen muss. Etwas enttäuscht breche ich nach etwa einer halben Stunde ab und fahre wieder zurück in Richtung Strasse.
Nahe der Strasse gab es eine kleine Brücke über der/die/das Drin*In, die (welche?) ich vorhin überquert habe und dort hatte ich immerhin ein paar Angler gesehen, vielleicht kann ich dort Informationen bekommen?
Die Brücke erreiche ich gemeinsam mit einem alten VW Golf. Von den Dingern habe ich seit meinem Grenzübertritt gefühlt hunderte gesehen und die Dichte an Golf – vor allem Golf II und Golf III – in Mazedonien dürfte sich in etwa mit der Mercedes-Dichte in Albanien decken. Es ist wirklich unglaublich, wie viele davon hier noch rumfahren!
Der hier zieht einerseits einen sehenswerten Anhänger, andererseits eine unglaubliche Geräuschkulisse hinter sich her, die mich an das Ballistol-Öl erinnert, das in meinem linken Alukoffer für Notfälle verstaut ist. Die Achskonstruktion des Anhängers erscheint mir ein solcher zu sein!
Während ich auf der Brücke anhalte um zu überlegen, wen ich nun in welcher Sprache nach dem Weg zum Haus fragen kann, kommt ein Mann mit Tarnweste an mir vorbei und grüsst mich gut gelaunt mit einem „Moin!“.
Als ich meine Worte wiederfinde und ihn frage, wer er ist und wieso er deutsch spricht, bekomme ich zu hören, er sei Deno, gebürtig aus Banja Luka und hier im Urlaub, zum Angeln mit seinem Sohn. Er würde immer zum Angeln herkommen, weil es hier so schön ruhig und friedlich sei und er hier eine Menge Freunde hat. Er arbeitet bei einem grossen Kupferbetrieb „Aurubis“ in Hamburg und lebt schon seit Jahrzehnten in Deutschland.
Aurubis? Wie geil, antworte ich, das ist eine meiner besten Investitionen! Ich wollte irgendwann mal Einzelaktien kaufen, möglichst MDAX und hatte mir dann zwei Unternehmen auf Basis der reinen Wirtschaftsdaten ausgesucht. Weniger aus reiner Anlagesicht, eher aus Spass, später dann aber doch mit mehr als nur Spielgeld. Naja, Aurubis hat sich dann so gut entwickelt, dass ich jedes mal viel Freude habe, wenn ich den Tageskurs sehe. Ich finde die Firma einfach toll. (Meine Wirecard-Position war nicht so geil…)
Ich erhalte also die besten „Insiderinformationen“ aus allererster Hand, jedenfalls wenn man das aus Sicht eines ganz normalen Arbeitnehmers so bezeichnen will. Wir haben jede Menge Spass und sind schnell bei Reisen, bei Motorrädern, beim Angeln und schliesslich beim Sinn des Lebens überhaupt.
Meine GS habe ich schon lange abgestellt, die Zeit vergessen und mich kleidungstechnisch dem Sommerwetter angepasst, wenn auch nicht ganz so unbefangen wie der vorbeikommende Kollege.
Irgendwann fällt mir wieder ein, wieso ich hier überhaupt gelandet bin und will wenigstens noch herausfinden, wo das Haus von Atatürk denn nun ist. Deno ist diesbezüglich aber ahnungslos, obwohl er die Stelle hier seit Jahren kennt. Aber um das Haus hätte er sich nie gekümmert.
Das macht aber nichts, denn da können bestimmt die Kollegen unten weiterhelfen! Wir sind derweil immer noch oben auf der Brücke und die Fragen und Antworten zu meinem Problem fliegen lautstark zwischen uns und den Anglern unten am Fluss hin und her.
Als jeder der Beteiligten seine todsichere Wegbeschreibung erläutert hat (alle sind unterschiedlich), zieht Deno seinen Joker in Form einer mazedonischen Legende: Es kommt – voila – der nationale Top-Promi zu uns nach oben. Deno erklärt mir wer es ist, ich kann mir den landestypischen Namen aber leider nicht merken.
Eventuell kennst du jemanden, der jemanden kennt, der sich im mazedonischen TV auskennt?
Jedenfalls soll es sich um einen berühmten Journalisten und Schauspieler handeln und jeder in Mazedonien soll ihn kennen. Der weiss aber ebenfalls nicht, wo sich das Haus von Atatürk befindet, was mir mittlerweile auch schon vollkommen egal ist. Wir haben einfach richtig viel Spass!
Später finde ich dann heraus, dass meine Schotterstrecke der völlig falsche Weg war. Das Haus Atatürks ist entweder über eine andere, noch viel abenteuerlichere Bergstrecke erreichbar oder über eine alternative Route, die viel weiter nördlich und östlich der Stadt Debar abzweigt.
Ich fahre dann weiter in Richtung Debar und will mir heute wenigstens noch den Mavroro-Nationalpark, an der Grenze zum Kosovo anschauen.
Durch meine Bummelei erreiche ich den Eingang des Nationalparks viel später als geplant, was mir gerade jedoch komplett egal ist.
Der Mavrovo ist der grösste Nationalpark Mazedoniens und es gibt hier Luchse, Wölfe und Braunbären. Ein grosser Teil der durchquerenden Strasse ist ganz ordentlich befahrbar und auf dem Weg müsste ich am „Kloster Sveti Jovan Bigorski“ vorbeikommen.
Das berühmteste Kloster Mazedoniens erreiche ich nach einer kurzen Auffahrt am östlichen Berghang des schönen Tals. Das Kloster wurde im Jahr 1020 gegründet, ist nun also genau 1001 Jahre alt und ich fürchte, wenn ich es heute nicht endlich besuche, nehmen mir die Mönche das übel!
Das Kloster ist wirklich top in Schuss und hervorragend restauriert. Ein Besuch lohnt sich, auch wenn man kein Fan von alten Kirchen ist. Hier gibt es Reliquien von Johannes dem Täufer und angeblich sogar einen Teil des Kreuzes, an dem Jesus Christus starb.
Danach durchfahre ich den Nationalpark, in dem es auf dem Weg keine weiteren nennenswerten Orte gibt. Meistens ist es sehr einsam, natürlich und vor allem sehr dicht bewaldet.
Auch hier im Mavrovo-Park gibt es ein Skigebiet, welches während der Saison landesweit bekannt und beliebt ist. Südlich des Stausees liegt das Resort und ich kann mir gerade nicht so richtig vorstellen, wie hier im Winter die Lifte in Betrieb sind.
Am Stausee gibt es noch ein Denkmal, welches offenbar auf die Zeit des Bergbaus in diesem Gebiet hinweist, dann geht es für mich auch schon in Richtung Tetovo und dann weiter zu meinem Tagesziel, der Hauptstadt Skopje.
Mit dem Verlassen des Nationalparks geht es in eine breite Ebene und es wird auch landschaftlich deutlich flacher. Ich wähle die kleine Landstrasse neben der schnurgeraden Autobahn zwischen Gostivar und Tetovo
In einem der Orte die ich durchfahre, gelingt mir ein echter Volltreffer und erwische einen Mercedes „Erlkönig“! Der deutsche Premium-Hersteller scheint hier das neueste A-Klasse-Cabrio zu erproben und ich habe unglaubliches Glück, einen der Prototypen abseits in einem kleinen Hof zu erwischen. Man muss schon sehr aufmerksam sein und ein echter Kenner der Szene, andernfalls hätte man die Gelegenheit wahrscheinlich verpasst. Nur aufgrund meiner ausgeprägten Autoaffinität und meinem wachen Geist und Auge, gelingt mir das entscheidende Foto, welches ich später der einschlägigen Fachpresse anbieten werde. (Eventuell auch der Schrottpresse, das entscheidet sich noch…)
Ernster wird die Lage auf den nächsten Metern Landstrasse. Nennenswerter Verkehr ist praktisch nicht vorhanden, als weiter vor mir ein LKW auftaucht. Ich kann den Laster mit Baumaterial zunächst nicht so gut erkennen, da der Abstand zwischen mir und dem Fahrzeug nur langsam kleiner wird. Daran merke ich, dass der Kollege vor mir mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit unterwegs ist.
Es tritt das ein, wovor man immer wieder gewarnt wird. Die Fahrt hinter dem Baufahrzeug wird schnell langweilig, da ich ihn mangels Streckenkenntnis auf diesen unübersichtlichen Kilometern nicht überholen kann. Ich möchte gleichzeitig jedoch „dran bleiben“, um im richtigen Moment zu passieren. Das Spielchen zieht sich also etwa zehn Minuten und eigentlich könnte ich auch hinter ihm bleiben, er ist ohnehin schneller als ich überhaupt fahren will.
Ich sollte die Sache ernst nehmen, mache aber sogar noch Fotos während der Fahrt, weil ich das einfach festhalten will. Die eilende kinetische Energie dort vor mir, ist echt bemerkenswert!
Was ich nicht weiss: Seine Rückleuchten sind komplett ohne Funktion! Keine Blinker, keine Bremslichter! Das merke ich in buchstäblich beeindruckender Weise an der Stelle, an der er rechts abbiegen will und dazu auf die Bremse steigt, was bedeutet, das sich sein Heck so schnell vor meinem Vorderrad in eine Hauswand verwandelt, dass meine schockierten Augen die Grösse von Untertassen bekommen.
Ich werfe den Anker mit allem, was rechte Hand und rechter Fuss an Druck aufbauen können, während das BMW-ABS das technisch Maximale dazutut. Es reicht aber nicht und ich muss nach links ausweichen, während ich gleichzeitig befürchte, entweder mein rechter Seitenkoffer bleibt an seiner Ladefläche hängen oder ich kollidiere mit dem Gegenverkehr, der da gerade hoffentlich nicht ist, oder beides.
Elmar, jetzt bist du gerade wieder wach! Mir geht die Pumpe bis zum Hals, der gerade erheblich geschwollen sein muss. Einerseits würde ich den Fahrer hier liebend gerne an Ort und Stelle massakrieren, andererseits weiss ich, dass ich mir das selbst eingebrockt habe. So knapp hinter dem LKW herzufahren, war vollkommen unnötig und normalerweise bin ich sehr defensiv unterwegs. Warum nicht hier?
Ich nehme mir vor, den Tag heute etwas früher in Skopje zu beenden. Nur den Matka-Canyon muss ich jetzt noch besuchen, der steht auf meiner Mazedonien-Reise-Todo-Liste.
Der Matka-Canyon oder besser der See in dem Canyon, entstand etwas westlich von Skopje, als man den Fluss für die Erzeugung von elektrischer Energie für die heutige Hauptstadt aufgestaut hat. Jetzt ist die Schlucht mit dem Stausee ein beliebtes Ausflugsziel der Einwohner.
Mit dem Motorrad komme ich bis zu einem kleinen letzten Parkplatz, unterhalb der Staumauer und erwische noch einen Quadratmeter zum Abstellen: Zweiradvorteil eben!
Mit dem Auto müsste man schon deutlich früher abstellen, weil das Tal vor der Staumauer so schmal ist und nur wenig Platz bietet. Den Rest des Weges zum oberen See nimmt man dann zu Fuss.
Der See bietet heute jede Menge Möglichkeiten für Freizeitspass. Es gibt die üblichen Tretboote, Kajaks und sogar Taucher habe ich gesehen.
Natürlich darf auch der übliche Trödelkram nicht fehlen, aber abseits eines Beweisfotos interessiert mich die Präsentation handgedengelter Teekessel gerade nicht.
Ich beende den Tag und muss mir Sightseeing in Skopje als Hauptstadt von Nordmazedonien heute leider schenken. Ein unerwartetes Kundenproblem erfordert meine Konzentration, beziehungsweise das, was noch davon übrig ist. (Von der Konzentration, nicht vom Kundenproblem…)
So richtig schlimm ist die Zwangspause allerdings nicht, denn Skopje erlebe ich bei 36 Grad im Schatten und Hitze empfinde ich in der Stadt immer noch unangenehmer. Der Hotelabend und auch der nächste Morgen gehen ungeplant für die Arbeit drauf, aber so lasse ich mir die Möglichkeit zu reisen allemal gefallen. Ich bin mir dieses Privilegs durchaus bewusst.
Heute geht es von Skopje in den Kosovo oder besser: Durch das Sharrit-Gebirge in Richtung Prizren. Ich tanke nochmal vor den Toren von Skopje für 1,16 Euro pro Liter und verlasse bald Mazedonien.
Die E-65 ist nicht wie erwartet eine breite Schnellstrasse, sondern einfach nur eine kleine Landstrasse. Ich bin zunächst unsicher, ob ich die richtige Route gewählt habe, aber die Richtung stimmt.
Sie werkeln aber gerade an der R6, einer Autobahn, welche mal die beiden Hauptstädte Skopje und Pristina verbinden soll.
Also fahre ich einfach weiter und erwarte den Grenzübergang irgendwann vor mir. Auch hier ist der Grenzverkehr heute überschaubar und ich halte mit dem Motorrad unter dem für Grenzübergänge so typischen Stahldach. Der Grenzbeamte prüft meine Papiere und fragt freundlich nach, ob ich die Versicherung für mein Motorrad abgeschlossen habe, was ich verneine.
Er verweist mich dann an das Versicherungsbüro in Form eines zweckentfremdeten Schiffscontainers 50 Meter vor dem Grenzübergang. Dort könne ich die Versicherung erhalten. Das Motorrad darf ich solange einfach an der Seite vor seinem Büro stehen lassen, er würde aufpassen.
Der Kosovo wird völkerrechtlich nur von etwa der Hälfte der UN-Mitgliedsländer als Staat anerkannt, was bewirkt, dass die übliche grüne Versicherungskarte hier nicht gilt, da sich mal wieder nicht alle über den Status einig sind. Du musst also bei Grenzübertritt eine extra Police abschliessen, um hier versichert unterwegs zu sein.
Das ist überhaupt kein Problem, man muss es nur einfach machen. Ich lasse das Motorrad also an der Grenze stehen und laufe die paar Meter zurück zur Versicherungsbaracke, in der ein ziemlich junger Angestellter gelangweilt mit seinem Smartphone rumspielt.
Nach Vorlage meines Ausweises und dem Fahrzeugschein beginnt er dann wortlos mit dem Ausstellen des Versicherungsdokuments. Die Prozedur ist in fünf Minuten erledigt und ich frage freundlich nach, ob sie hier eine Kartenzahlung akzeptieren.
Die Antwort: „Today insurance for tourists is payed by the government of Kosovo.“
Jetzt bin ich mal sprachlos. Die 13 Euro für die Versicherung meines Motorrads werden gerade von der Republik Kosovo bezahlt. Das ist aber mal nett! Die 13 Euro hätte ich sicher auch selbst bezahlt, aber die Geste finde ich einfach toll und bin gerade sehr überrascht. Der erste Eindruck zählt ja so häufig und hier ist er deutlich positiver als erwartet.
Mit dem Versicherungsnachweis in der Hand geht es zurück zum Grenzposten, der mich schon aus der Ferne wiederum sehr freundlich durchwinkt. Formalitäten, Kontrollen, PLF? Null!
Die Autobahn, die hier zu einem Teil fertig ist, möchte ich vermeiden und bleibe daher lieber auf der schönen Landstrasse. Nur ab und zu sehe ich zwischen den Bergen die Trasse der Schnellstrasse. Das muss ein Vermögen gekostet haben, alleine die riesigen Betonpfeiler in die Täler zu bauen.
Einige Kilometer weiter halte ich an einem grossen Denkmal für die Gefallenen des Kosovokrieges, der jetzt auch schon zwanzig Jahre her ist.
Ich würde vor einer Reise übrigens empfehlen, sich mit der überaus bewegten Geschichte des Landes zu beschäftigen. Das hilft doch enorm beim Verständnis der unübersehbaren Probleme hier.
Gleichzeitig bin ich nun von der Aussenwelt abgeschnitten. Mein Smartphone hatte ich schon beim Verlassen Griechenlands und somit der EU von den mobilen Daten getrennt, hier im Kosovo ist nun auch mein mobiler Hotspot trocken gelegt. Der Kosovo ist einer der ganz wenigen Flecken, die von der Möglichkeit, das lokale Mobilfunknetz über bezahlbares Datenroaming zu nutzen ausgeschlossen ist. Entweder ich kaufe mir nun eine lokale SIM-Karte, was sich wahrscheinlich nicht lohnt, oder ich verlasse mich darauf, ab und zu einen offenen Wifi-Hotspot zu erwischen. Ich entscheide mich zunächst für die zweite Wahl und will mal schauen, ob das klappt.
Ich bin nun kurz vor Kazanik und überlege, ob ich noch den gut 10 Kilometer langen Abstecher bis südlich von Ferizaj mache. Dort liegt Camp Bondsteel, der grösste US-Stützpunkt im Kosovo. Ich denke aber, die lassen mich da sowieso nicht rein und Fotos darf ich da wahrscheinlich auch nicht machen, also lieber ab in die Berge!
Hinter Kazanik biege ich ab auf die R115 in Richtung Sharrit-Gebirge, durch welches die Strasse dann westlich nach Prizren führt. Dort soll dann mein Tagesziel liegen und Prizren ist angeblich eine ganz schöne Stadt.
Zunächst geht es aber einmal quer durchs Sharrit und den wirklich schönen Nationalpark mit seiner Bergwelt. Oben auf den Gipfeln liegt immer noch Schnee und die Berge hier erstrecken sich bis auf 2700 Meter Höhe.
Die kleine Strasse führt vorbei an einem ehemaligen Hotelbau, der mir nach sozialistischer Architektur und eher verlassen erscheint. Hier möchte ich heute jedenfalls nicht einkehren!
Da suche ich mir lieber mal die kleinen Wege abseits der Hauptroute und schaue mir die Gegend an.
Dann erreiche ich Prevalla, den Ort, der in etwa den höchsten Punkt des „Malet e Sharrit Nationalparks“ darstellt und sogar touristisch etwas zu bieten hat.
Ich stelle mein Motorrad an einem Parkplatz ab und schaue mir das Treiben an. Die Menschen sitzen entspannt auf der Wiese am Berghang und fast alle sind beim Picknick.
Die Stimmung hier oben ist extrem entspannt und alle scheinen sehr gut drauf zu sein. Wüsste ich es nicht besser, ich würde sagen das ist ein Volksfest, ich höre aber gleich, dass es hier immer so zugeht.
Mein zweiter Blick fällt wieder mal auf einen der auch hier weit verbreiteten VW Golf II. Genau so einen weissen Viertürer hatte ich in meiner ersten Studentenzeit, Ende der Achtziger, aus der Erinnerung würde ich aber behaupten, er war etwas besser in Schuss. (Eventuell ist diese Zeit auch einfach nur schon lange her?!)
Ich stehe so in der Gegend herum als mich ein freundlicher Herr anspricht. Woher ich komme und was ich hier mache will er wissen und freut sich, dass mal ein Mitteleuropäer den Kosovo besucht. Er selbst komme gebürtig aus Prizren, macht gerade hier Urlaub und arbeitet sonst als Bauarbeiter in Basel in der Schweiz. Bei ihm sind drei Frauen, vollständig schwarz verhüllt. Etwa 95 Prozent der Einwohner des Kosovo sind Muslime.
Wir reden eine Weile und ich frage nach einem Übernachtungstipp für Prizren. Er meint jedoch, ich solle vor allem die Altstadt meiden, da wäre der Verkehr viel zu chaotisch. Das finde ich blöd, denn gerade die Altstadt ist der Teil, der mich an Prizren besonders interessiert.
Das erinnert mich jedoch daran, hier mal nach einem offenen WLAN zu suchen und ich werde auch direkt fündig. Dadurch kann ich unverbindlich bei Booking reinschauen und das Angebot in der Stadt prüfen. (Ja, keine Sorge, ich weiss wie man sich in ungesicherten Netzen bewegt!) Meine Aufmerksamkeit wird auf ein kleines, günstiges und gut bewertetes Hotel, sehr zentral in der Altstadt gelenkt. Da will ich dann heute hin.
Vorher schaue ich mir jedoch noch den Rest des Parks an und fahre durch die schönen grünen Täler und nicht weniger tollen Strassen. Zum Motorradfahren ist das hier genau die richtige Gegend.
Als die Sonne schon nicht mehr so hoch am Himmel steht, erreiche ich die ersten baulichen Ausläufer der Stadt Prizren, seines Zeichens die zweitgrösste Stadt des Kosovo mit etwa 85.000 Einwohnern und definitiv ein kulturelles Zentrum.
Der Verkehr erscheint mir aber deutlich weniger schlimm als angekündigt. Falls du den Verkehr in Istanbul kennst, würdest du Prizren jedenfalls als verkehrsberuhigte Zone bezeichnen!
Mein Problem ist allerdings wieder das fehlende Internet. Ich kann mir sicherlich irgendein Hotel suchen und werde wohl auch schnell fündig, aber die Booking-Empfehlung aus Prevalla wäre mir schon lieb. Dummerweise habe ich mir die Adresse nicht gemerkt und fahre daher einfach mal in das vermutete Zentrum der Stadt.
Auf einem kleinen Platz stelle ich das Motorrad am Strassenrand ab und suche auf dem Smartphone ein verfügbares WLAN. Mir werden recht viele angezeigt und ein Signal, gleich unter den ersten, hat die Bezeichnung „Edi Imperial“. Da muss ich lachen, denn das ist genau der Name des Hotels! Es muss sich also hier in der unmittelbaren Nähe befinden. In der ersten Seitenstrasse um die Ecke werde ich auch fündig.
Den jungen Mann an der Rezeption frage ich nach einer Möglichkeit zum Abstellen des Motorrads. Er meint, ich solle es einfach an der Seite vor dem Haus auf dem Pflaster parken. Das wäre gar kein Problem, er hätte es von der Rezeption aus im Blick und Tickets fürs Falschparken gäbe es nicht. Ich denke, er muss es wissen und parke wie empfohlen.
Dann bringe ich meine Sachen aufs Zimmer und mache mich auf, zur Erkundung der Altstadt, die nur einen Steinwurf vom Hotel entfernt liegt.
Mitten durch die Stadt zieht sich ein Fluss, beziehungsweise das, was man im Sommer noch Fluss nennen kann. Die alte Steinbrücke „Ura e Gurit“ ist nur 100 Meter entfernt und dort beginnt der Teil der Altstadt, in dem es die meisten Cafes, Bistros und Restaurants gibt.
Ich sehe mich erstmal um und lasse Prizren auf mich wirken. Diese Stadt gefällt mir gut, wirklich sehr gut! Es ist viel ruhiger als ich dachte und oben auf dem Hügel wacht eine alte Festung aus dem 11. Jahrhundert.
Dann gehe ich zum Shatervan, der den zentralen historischen Platz von Prizren darstellt und weiter durch ein paar kleine Gassen.
Die Gemütlichkeit in den Strassen und Gassen ist genau das was ich mag. Prizren sammelt bei mir gerade mächtig Pluspunkte! Nur die fliegende Freiluftverkabelung fällt mir auf und ich möchte hier keine Fehlersuche durchführen.
Der Abend bricht langsam herein und ich entscheide mich für ein gut besuchtes Restaurant direkt am Shatervan. Normalerweise sollte man das nicht machen und lieber etwas in der zweiten Reihe suchen, weil der Touristennepp dort meist weniger drastisch ausfällt, aber hier kann ich mir eine Mahlzeit trotzdem leisten, wie ich hoffe.
Es ist das „Pashtriku“ und ich bin rundum zufrieden. Das Essen ist wirklich super und am Ende zahle ich 7 (Sieben!) Euro für alles, inklusive der Getränke.
Bevor ich dann spät am Abend die wenigen Schritte zurück zum Hotel laufe, rufe ich nochmal zuhause an und drehe dann noch eine nächtliche Fotorunde bei besonders stimmungsvollem Licht.
Solche Städte mag ich, entgegen meiner sonstigen Abneigung für Metropolen. Prizren spielt aber auch nicht in der Metropolen-Liga, Gott sei dank!
Am Morgen gibt es das Frühstück direkt neben dem Hotel in einem kleinen Cafe und auch dort sind sie schon erfreulich früh auf den Beinen.
Als ich unten ankomme, macht der Besitzer gerade auf und ich darf mich direkt setzen. Wir kommen ins Gespräch, er heisst „Sead“ und wird mich gleich mit allem versorgen, was ich brauche. Und „mit allem“ ist das gemeint, was er für richtig erachtet, nicht das, was mir normalerweise als Frühstück reicht.
Mein Tisch sieht bereits nach kurzer Zeit aus wie das Buffet eines Sternehotels. Ich muss ihn schliesslich bremsen, denn diese Mengen kann ich zum Frühstück unmöglich essen und Nahrungsmittel wegzuwerfen, ist mir ein Graus!
Wir quatschen dann lieber noch bei einigen morgendlichen Espressi über den Kosovo im Allgemeinen und Prizren im Speziellen. Es geht meistens nicht über den Erkenntnisgewinn im Dialog mit den Einheimischen und Sead spricht perfekt Englisch. Da kann ich nicht einfach losfahren und so eine Gelegenheit ungenutzt lassen.
Auch nach dem Frühstück gehe ich nochmal zum Fluss und schaue mir das Treiben in der Stadt zu Tagesanbruch an.
Irgendwann will ich dann aber los und lerne tatsächlich noch den Verkehr im Norden von Prizren kennen. Dort sind sie mit ausgedehnten Strassenbauarbeiten beschäftigt, was das morgendliche Verkehrsaufkommen nicht gerade positiv beeinflusst.
Auf der Landstrasse ausserhalb der Stadt klappt es dann aber besser und ich komme mit 60 bis 70 Stundenkilometer voran, jedenfalls solange keiner der 100 Traktoren den Verkehr mit seinen 12 km/h wieder einbremst.
Ich habe sogar wieder die Gelegenheit, Fahrfotos zu machen.
Heute geht es nach Albanien. Dort stehen noch zwei Highlights auf dem Programm, die ich bei meinem ersten Besuch aus Zeitgründen leider auslassen musste. Statt nun direkt von Prizren nach Kukes zu fahren, will ich aber noch etwas Landschaft mitnehmen. Ich wähle daher die Route über Gjakova und den kleinen Grenzübergang in den Bergen bei „Quafa e Prushit“.
Auf dem Weg dorthin stehen abseits an den Strassen wieder die vielen Grabsteine aus dem Kosovokrieg.
Spätestens ab Gjakova ist es dann so menschenleer, dass überhaupt keine Fahrzeuge mehr auf der Strasse unterwegs sind.
Einmal halte ich noch wenige Kilometer vor der Grenze mitten im Nichts, weil ich dort ein Schild mit amerikanischer Flagge sehe. Das Schild weist auf den Halo Trust, eine gemeinnützige Organisation, die sich mit der Räumung von Landminen befasst. Hier hat der Trust 100.000 Quadratmeter Minen weggeräumt. Grosse Teile, besonders die abseits der Strasse sollen immer noch vermint sein, aber so viel Offroad möchte ich heute gar nicht fahren.
Die albanische Grenze müsste jetzt ganz nah sein und an einem Bergaufstück kann ich den Grenzposten bereits erkennen. Ob diese Grenze für Fahrzeuge offen ist? Sead war sich heute morgen nicht sicher und meinte beim Frühstück, nicht jeder Übergang dürfe von Ausländern überquert werden, jedenfalls nicht mit Fahrzeug. Aber ich werde es gleich erfahren.
Jetzt verabschiede ich mich kurzzeitig aus dem Kosovo um Albanien zu besuchen. Es ist das Land, das mir vor vier Jahren so sehr im Gedächtnis geblieben ist und bis heute fasziniert. Albanien habe ich unglaublich schön in Erinnerung, leider aber auch sehr arm. Ich bin schon gespannt wie es mir diesmal gefällt.
Den Kosovo verlasse ich aber nur temporär und habe vor, nach meinem Albanien-Abstecher nochmal herzukommen. Ich habe da noch eine Rechnung offen, im Norden des Landes, in der Nähe von Peja mit einer ganz speziellen Passstrasse, die 2017 nicht so wollte wie ich. Das kann ich so nicht stehen lassen!
Jetzt freue ich mich auf Albanien, steige wieder aufs Motorrad und nehme bei 36 Grad im Schatten die letzten Meter zur Grenze unter die Räder. Wird Albanien mich auch dieses Mal so beeindrucken? Ich bin schon sehr, sehr gespannt!
Hier geht es zu Teil 3 der Balkanreise.
Meine grobe Route in Mazedonien und dem Kosovo:
Philippe 04/12/2021
Wieder ein ganz toller Bericht, den ich richtiggehend verschlungen habe. Die Mischung von informativem Text, launigen Kommentaren und tollen Fotos ist eine willkommene Abwechslung zu den manchmal doch recht gleichförmigen YouTube-Videos anderer Reiseblogger.
Freue mich schon auf die nächste Etappe!
Beste Grüsse aus Zürich, Philppe
Thomas 12/02/2022
… schön geschrieben, ich musste sehr oft schmunzeln