Dies ist Teil 2 meiner Marokko-Westsahara-Tour. Teil 1 findest du hier
Die Oase Fint soll ein schöner Ort sein. Für diesen Morgen ist es genau das Kontrastprogramm zum gestrigen Tag. Sie liegt günstig, nur wenige Kilometer südlich von Quarzazate.
Passenderweise erreicht man sie erst nach einer Sandpiste, aber diesmal ist es eine von der leichten Sorte. Ich möchte heute auf „extrem“ verzichten. Der Tag gestern im hohen Atlas hat gereicht, das war genug „Adventure“.
Der Weg über die staubige Piste am Morgen ist einfach. Von hier aus sieht es gar nicht nach Oase aus und ich zweifle zunächst, ob sich der Umweg lohnt.
Nach der Fahrt auf der Piste geht es hinab in ein Tal. Der Fluss dort hat mit seinem Wasser für Leben gesorgt.
Die Wege hier bestehen ausschliesslich aus Sand. Weit und breit gibt es keinen Asphalt, aber der Sand ist fest. Nur ab und zu schlingert das Motorrad an Stellen, wo kleine Sandhaufen liegen, aber weitestgehend kann man hier gut fahren. Fürs Feeling ist das gut. Man fühlt sich wie vor hundert Jahren. Alles ist so ursprünglich. Jedenfalls erscheint es mir so.
Die Oase ist wirklich malerisch und einen Besuch wert. Das Tal wird der Länge nach von dem respektablen Fluss durchzogen. Ganz zu meiner Freude gibt es keine Brücken und entsprechende Durchfahrten sind unumgänglich.
Hier sieht man, wie wichtig Wasser ist. Während rundherum alles aus Steinen, Sand und Felsen besteht, wird unten im Tal der Oase fleissig Landwirtschaft betrieben. Immer wieder kann man Menschen zwischen den Bäumen und an den Wasserläufen erkennen. In den Feldern wird fleissig gearbeitet.
Südlich des Flusses liegt der kleine Ort Fint, nördlich liegt der verlassene alte Ort, der im Wesentlichen nur noch aus Ruinen besteht, abgesehen von einem einzelnen Hotel am Ostrand.
Es ist so schön friedlich hier, man fühlt sich direkt geborgen. Das Gegenteil von gestern im hohen Atlas.
Nach dem Besuch der Oase Fint geht es zunächst zurück, denn ich muss für mein nächstes Ziel auf die N10, die südlich von Ait-Ben-Haddou nach Taznakht führt. Ait-Ben-Haddou kenne ich schon (das kennt wahrscheinlich jeder), deshalb darf ich den „beliebten“ Touristen-Hotspot diesmal auslassen.
Das nächste Ziel nach „Gara Medouar“ ist eine weitere Filmkulisse. Der amerikanische Autor „Wes Craven“ hat mit „The hills have eyes 2“ eine Horrorstory geschrieben, die eine Familie auf das Gelände von US-Atomwaffentests führt. Sowas schaue ich mir normalerweise nicht an, aber statt in New-Mexiko zu drehen, befindet sich die Kulisse der markanten Film-Tankstelle hier in Marokko.
Zunächst geht es aber an einem der Filmstudios vorbei, die sich im Einzugsgebiet von Quarzazate befinden. Kinofilme werden in Marokko fleissig gedreht, da lohnen sich die Studios. Ich fahre diesmal aber nur daran vorbei.
Den Drehort von „The hills have eyes“ erreiche ich eine halbe Stunde später. Das Besondere an der Tankstelle ist, dass alles noch genau so dasteht wie zum Zeitpunkt der Dreharbeiten. Ich verbringe viel Zeit an dem surrealen Spot und mache jede Menge Fotos. Der Spot ist vollkommen verlassen. Ausser mir ist niemand dort.
Ich wundere mich über den Zustand. Nichts ist kaputt, alles liegt so da, wie es zu den Dreharbeiten ausgesehen haben muss. Ich vermute, irgendwer kümmert sich, aber zu sehen ist niemand. Egal wohin man schaut: Keine Farbschmierereien (manche nennen es „Graffiti“), kein Müll (für Marokko ungewöhnlich) und keine kaputten Installationen.
Dann geht es weiter in den Süden. Die nächsten 150 Kilometer ab hier sind nicht so spannend, aber einmal kommt mir während einer Bergauf-Passage ein Motorrad entgegen und wir stoppen beide. Ich treffe Alex aus Grossbritannien, der ebenfalls alleine unterwegs ist. Er hat sich für ein paar Tage eine BMW 850er gemietet. Wir quatschen eine Weile und tauschen uns über unsere Routen und Erfahrungen aus. Für ihn war der Tizi n Test das Highlight und der steht auf meiner Liste, aber erst viel später.
Leider ist seine Zeit in Marokko fast zu Ende und er muss wieder zurück nach Marrakech, um die Maschine abzugeben. Ich bin währenddessen auf dem Weg zur algerischen Grenze am „Wadi Draa„.
Ich befinde mich auf der N10, die über Taznakht nach Foum-Zguid führt. Viel Betrieb ist hier nicht mehr. Ich finde, auf der Hauptroute im Norden ist schon was los. Abseits wird der Verkehr sehr viel weniger. Und immer wenn man von einer Hauptstrasse abfährt, ist man vollkommen alleine. Ich wüsste nicht, wo man in Europa so einsam unterwegs sein kann. Die Extremadura in Spanien ist dünn besiedelt, aber auch das ist kein Vergleich zu der Einsamkeit hier.
Mittlerweile hatte ich genug Entspannung und kann mich wieder der „Arbeit“ widmen. Es geht über Taznakht in den Süden Marokkos. Wann immer möglich, fahre ich von der Hauptstrasse ab auf die Nebenwege. Mein Ziel auf dieser Tour ist es, viel mehr Offroad zu fahren als bisher.
Den ersten Versuch im Cirque Jaffar verbuche ich mal unter Ausrutscher. Hier klappt es viel besser. Allerdings ist auch die Geografie einfacher. Der mittlere Atals bei Midelt war höher und schroffer. Dagegen sind die ausgedehnten Ebenen hier unten flacher und werden nur ab und zu von langgestreckten Bergketten unterbrochen.
Dann erreiche ich Foum-Zguid. Es ist warm geworden, wobei die hier gerade herrschenden 28 Grad für marokkanische Verhältnisse eher frühlingshaft sind. Selbst auf dem Asphalt trifft man kaum noch ein Fahrzeug, dafür aber bemerkenswerte Strassenschilder.
In Foum-Zguid halte ich mitten im Ort an einem Kreisverkehr, weil ein Lokal da gut aussieht und ich eine Pause brauche. (Es heisst „Restaurant Chegaga“ und ist top!)
Ausserdem muss ich mir in Ruhe einen herrlichen Land Rover Defender anschauen. Wenn ich mal gross bin, will ich auch sowas!
Als ich gerade sitze, halten vor meinem Tisch zwei weitere Motorräder. Es sind Franzosen auf Tenere 700 und Africa Twin und sie haben drei Wochen in Marokko, wobei zwei davon schon vorbei sind. Sie kommen aus Südfrankreich und sind die Fähre von Sete gefahren, beschränkt haben sie sich hier unten aber auf die asphaltierten Strassen.
Für die nächsten Tage werden die drei die letzten Motorradfahrer sein, die ich treffe, aber das weiss ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. So weit in den Süden verirren sich normalerweise keine Reisenden, weil das hier weit abseits der üblichen Marokkorunde liegt. Hier trifft man nur noch Overlander und Verrückte mit viel Zeit.
Wir sitzen unter dem Baum im Schatten der Mittagssonne und quatschen, während wir hervorragend vom Restaurant versorgt werden. Ich habe den Eindruck, es ist ein Vorteil so weit weg von der Touristenroute zu sein. Es scheint mir, hier erlebt man das ursprünglichere Marokko. Marrakech, letzten Oktober, war völlig anders. Das sollte man mal gesehen haben, aber da muss ich nicht nochmal hin.
Noch weiter südlich gibt es jetzt gar keine Strassen mehr. Die N12 markiert die südlichste Verbindung in Ost-West-Richtung von Merzouga über Zagora bis Guelmim. Jenseits dieser Route kommen nur noch Sand, Steine und der Wadi Draa.
Nur noch wenige Meter ab Foum-Zguid fahre ich die N12, aber die ist hier sehr langweilig. Ich muss da also schnell runter.
Der Wadi Draa ist mit über 1000 Kilometern Länge der theoretisch längste Fluss Marokkos. Theoretisch deshalb, weil er meistens ausgetrocknet ist, so auch jetzt. Gleichzeitig markiert der Wadi Draa die Grenze nach Algerien und zur umstrittenen Region Spanisch-Sahara, bzw. Westsahara, aber dazu später mehr.
Schon kurz hinter Foum-Zguid fahre ich also von der N12 ab, weil ab hier die alten Pisten der Rally Paris-Dakar verlaufen. Ich habe nicht den Anspruch, hier im Rallye-Trim zu fahren, das lässt schon meine Reisekonfiguration nicht zu. Aber ich bin absolut neugierig, wie die Tenere diese Aufgabe mit Gepäck meistert. Denn das ist eine der Sachen die ich herausfinden will. Als ich an dem verlorenen Schild mitten im Nirgendwo anhalte und in die Ferne schaue, kommen aber leichte Zweifel auf. Alleine hier weiter? Echt? Ganz sicher?
Ich halte mich zunächst an die sichtbaren Fahrspuren im Sand. Der Sand ist hier ziemlich fest und deshalb gut befahrbar. Meine Conti-Reifen machen diesmal überhaupt keine Schwierigkeiten.
Gleichzeitig muss ich die Konzentration wieder hochschrauben, denn nun steht die Wüste auf dem Programm. Ab hier gibt es nur noch Einsamkeit. So weit man schaut erstreckt sich trockener Sand.
Sprit und Wasser habe ich in Foum-Zguid aufgefüllt. Meine „Auffanglinien“ sind der beschriebene Wadi-Draa und die algerische Grenze, die ich tunlichst nicht überqueren will (soll/darf). Das mögen weder die Marokkaner, noch die Algerier. Ich habe gelesen, es gibt Militärposten entlang des Wadi. Die sollten mich stoppen, wenn ich zu weit abdrifte. (Soweit meine Theorie…) Es geht jetzt nur noch Offroad weiter, weil ich unbedingt mal diese alten Rallye-Routen fahren will… Kneifen ist nicht.
Die Navigation ist ab jetzt rudimentär, denn es gibt eben keinen routingfähigen Track. Ich orientiere mich am Nord-Pfeil auf den beiden Navis oder besser der Gegenrichtung. Die Pisten sind meistens noch ganz gut zu erkennen. Das Problem ist nur, dass es recht viele davon gibt. Keine Ahnung, welche nun die Richtige ist. Immer wieder teilt sich die Spur. Ich fahre einfach nach Gefühl und bin fasziniert von der totalen Einsamkeit und dem unglaublichen Panorama.
Wilde Kamele sind die einzigen Lebewesen, die ich in den nächsten Stunden treffe. Ich versuche immer, dem feinen gelben Sand fernzubleiben, weil meine TKC70 dafür nicht so gut geeignet sind und ich hier nicht stecken bleiben will. Moped ausbuddeln im Wüstensand ist anstrengend. Also bevorzuge ich die Piste, die jeweils fester aussieht, eher nach Schotter. Das klappt eigentlich ganz gut. Hauptsache, ich lege mich hier nicht ab.
Blöd ist, dass mein Kurs irgendwann immer kleiner wird, also von der beabsichtigten Südwest-Richtung (etwa 225 Grad) eher nach Nordost (45 Grad) abdriftet. Die Geographie in Form von reichlich dunklem Fels zwingt mich in die falsche Richtung. Ich fürchte, irgendwo bin ich vorhin falsch abgebogen.
Am Nachmittag erhöhe ich den Kurs notgedrungen auf etwa 300 Grad, also in Nordwest-Richtung. Erstens will ich wieder zurück auf eine Strasse, um schneller voranzukommen, zweitens möchte ich mir noch den Tissint-Canyon ansehen. Ok, ich gebe es zu: Drittens erhalte ich an einem Armeeposten die Ansage, es wäre nun weit genug nach Süden und ich möge bitte verschwinden. Ich habe also mindestens einen der Posten gefunden, von denen ich vorher gelesen habe.
Der Posten liegt mitten im Nirgendwo. Da sitzen zwei Soldaten in einem runden Sandkasten, ohne ersichtliche Infrastruktur. Irre sowas. Ich befürchte, sie sind nicht bereit für ein Foto zu posieren. Ansonsten sind die beiden aber ganz freundlich und ich werde bei ihnen mein erstes „Fiche“ los.
Ein „Fiche“ ist im Prinzip nur ein Papierzettel (Französisch für „Karteikarte“) mit deinen wesentlichen persönlichen Reisedaten. Sowas braucht man nicht auf der normalen Marokkorunde, aber wenn du in den Süden fährst, noch dazu Offroad, dann sollte man ausreichend „Fiche“ dabei haben. In meinem Tankrucksack stecken zehn Stück davon.
Die Vorlage habe ich aus dem empfehlenswerten Offroad-Tourenbuch Marokko von Sabine und Burkhard Koch. Du kannst dir das natürlich auch selbst in Excel basteln. Ein vorbereitetes Fiche spart jedenfalls sehr viel Zeit bei Kontrollen. Und diese Kontrollen durch Polizei und Militärposten werden umso häufiger, je weiter man in den Süden kommt.
Tauschen möchte ich mit den beiden armen Kerlen hier nicht. Die sitzen den ganzen Tag in einem aufgeschütteten Hügel und schauen auf Sand und Steine. Ich vermute, sie werden am Abend irgendwann wieder eingesammelt, aber wetten würde ich darauf nicht. Zurück soll ich übrigens den gleichen Weg, den ich gekommen bin, weil es südwestlich des Postens gefährlich wäre, im Sand, unter mir. Der verminte Wall beginnt nach meiner Recherche eigentlich erst weiter südlich, aber den Hinweis der beiden Soldaten nehme ich jetzt mal ernst. Es gibt Dinge, die muss ich nicht überprüfen.
Falls meine neue Navigation jetzt stimmt, treffe ich kurz vor Tissint wieder auf die N12. Ich erreiche das Asphaltband etwa zwanzig Minuten vor Tissint und freue mich, dass es nun wieder schneller voran geht, als mit 30 oder 40 Kilometer pro Stunde im Dreck. Achja, und Fahrtwind ist auch was feines!
Tissint ist ein kleiner Ort im Nirgendwo und nicht weiter erwähnenswert, aber westlich davon kann man wieder von der Strasse abfahren und den Canyon bestaunen, den der Fluss hier geschaffen hat.
Der Canyon erstreckt sich über etwa sieben Kilometer und ich fahre die Tenere so weit an den Rand, dass sie gerade eben nicht reinplumpst. Carola kann sowas überhaupt nicht leiden und hätte wohl fürchterlich geschimpft.
Es ist spät am Nachmittag und nun sind es noch etwa 70 Kilometer bis nach Tata. Da möchte ich heute noch hin, deshalb bleibe ich für den kurzen Rest des Tages auf der Strasse.
Am Abend erreiche ich Tata. Das ist der erste und einzige Ort seit Foum-Zguid, der gute Infrastruktur besitzt. Hier gibt es ein paar Hotels und vor allem Sprit.
Es wird hier das „Relais des Sables“. Ich brauche wirklich keinen Luxus, aber wenn es sowas gibt und dann auch noch ein Pool vorhanden ist, lehne ich es nicht ab. Ausserdem will ich morgen wieder Dreckspisten bügeln und deshalb muss ich gut schlafen. Also nur deshalb. Geht das als Ausrede durch?
Der Typ am Empfang ist speziell. Er hat den Charme eines römischen Galeerentrommlers und würde sich auch gut als Wächter in einem Straflager eignen. Dass ihn hier jemand an eine Hotelrezeption gesetzt hat, verbuche ich mal unter marokkanischen Humor.
Immerhin: Mein Zimmer geht in Ordnung und es gibt einen Pool. Bemerkenswert ist aber ein Gebäude direkt an der Seite des Pools, das einen Hintereingang hat.
Von der Poolseite ist es angeblich eine Bar für die Hotelgäste, also schaue ich da mal rein. Innen sitzen etwa 30 Marokkaner und rauchen alles, was die nordafrikanischen Plantagen so hergeben. Die Luft ist zum schneiden.
Währenddessen läuft Fussball auf einem Fernseher an der Wand und der Barmann gibt regelmässig „Getränke“ aus, definitiv kein Tee! Für 30 Dirham gibt es eine Halbliterdose Bier, die ich mir angesichts der finsteren Runde hier mit an den Pool nehme.
Ich stelle fest, dass ich mir das Bier nach dem tollen Tag heute verdient habe und geniesse es auf einer Liege am Pool. Währenddessen laufen hinter der Begrenzungsmauer des Hotels immer wieder Männer hin und her und verschwinden in der Bar. Mir erscheint das seltsam und ich grüble noch lange was da passiert, komme aber zu keinem zufrieden stellenden Ergebnis. Ich gebe auf und geniesse lieber mein kühles Getränk, während sich die Abendsonne langsam mit dem Horizont anfreundet.
Von Tata geht es über Akka weiter in den Südwesten Marokkos. In Akka ist Markt. Alleine das Treiben im Vorbeifahren ist schon sehenswert. Markt ist in Marokko immer ein unglaubliches Gewusel. Auf meiner ersten Tour durch das Land bin ich mal mit dem Motorrad mitten durch einen gefahren, weil es keinen anderen Weg gab. Für mich war das extrem ungewohnt, für die Marokkaner völlig normal.
Hinter Akka wird mir die Fahrt auf der N12 wieder zu langweilig. Es geht immer nur durch die Ebene, während sich rechts und links die schönen Bergkämme erstrecken. Da es gestern so gut mit den „Dreckspisten“ geklappt hat, biege ich schon kurz später wieder in Richtung Süden ab. So werde ich wahrscheinlich einen Tag länger brauchen bis ans Meer, aber das ist mir egal. Die N12 über Icht nach Guelmim ist hier strunzlangweilig.
Sprit und Wasser ist auch heute genug dabei und ich bin zuversichtlich. Direkt am Ortsausgang von Tata gab es heute früh eine Tankstelle mit einem kleinen Shop. Da habe ich mich nach der Abfahrt vom Hotel versorgt. Und ich weiss, wenn ich mich verirre, liegt auf 300 Grad wieder die N12. Ich muss dann nur eine Passage durch die lang gestreckten Bergketten finden.
Ansonsten fahre ich oberhalb des Wadi Draa. Hier ist es sogar etwas einfacher als gestern, denn ich finde einen gut erkennbaren Track. Ausserdem ist es vom Kopf her angenehmer, weil jetzt weniger Zweifel mitfahren.
Zweifel hatte ich zu Beginn der Offroad-Pisten und war zunächst unsicher, ob ich ein Angsthase bin oder ob die berechtigt sind. Wenn man in Südmarokko weit von den Ortschaften entfernt ist und dann auch noch die einzige relevante Verbindungsstrasse verlässt, um in die Wüste zu fahren, machen sich solche Zweifel schon mal breit. Hinzu kommt, dass ich alleine unterwegs bin und wenn mir etwas passiert, ist keine Hilfe in der Nähe. Dass ich hier mal schnell den ADAC rufe, scheidet wohl aus.
Dann braucht man nur noch eine typischer Fehlerverkettung und man befindet sich ratzfatz in Schwierigkeiten. Eine solche Verkettung wäre beispielsweise ein Reifenschaden, gepaart mit Orientierungsverlust, fehlende Mobilfunkverbindung und mangelnder Wasservorrat. Naja, und wenn man alleine unterwegs ist, braucht man vielleicht auch etwas Selbstvertrauen. So oder ähnlich sind wohl meine Gedanken.
Gleichzeitig lebt in mir eine grosse Neugier, was sich wohl hinter dem Berg da am Horizont befindet. Ich versuche deshalb, möglichst viele Fehler zu vermeiden und oben auf der Maschine zu bleiben. Meistens gewinnt die Neugier… Und es hilft auch, dass es nicht meine erste Solo-Reise ist.
Die Idee mit der Piste ist gut, weil man die Landschaft so viel besser erlebt, als auf der asphaltierten Strasse. Einmal halte ich im Nirgendwo an, mache eine Pause, trinke Wasser und schaue mir so die Gegend an. Die Stelle ist weit entfernt von irgendetwas, was nach Zivilisation ausschaut. Etwa zwanzig oder dreissig Meter rechts neben mir liegt ein Steinhügel und auf einem der Felsen erscheint mir etwas seltsam.
Ich stecke die Wasserflasche wieder in den Koffer, schnappe mir meine Kamera und stapfe los.
Da sind tatsächlich Markierungen im Stein. Für mich sieht das antik aus. So antik, dass ich nicht glaube, dass das von gelangweilten Soldaten in den Stein gehauen wurde. Ich bin fasziniert und überlege, wie alt das hier wohl sein mag.
Jetzt fehlen mir nur noch Schlapphut und Lederpeitsche, dann könnte Steven mit den Dreharbeiten zu „Indiana Jones und die Schriften der Tenere“ beginnen. Naja, oder so ähnlich… Wenn man alleine unterwegs ist, fällt einem eine Menge Blödsinn ein. Für dummes Zeug hat man viel Zeit.
Zurück zur Route: Ich brauche für den Track ein paar Stunden, das ist der „Nachteil“. Später komme ich natürlich wieder auf die N12 und suche mir wie üblich am Nachmittag eine Unterkunft.
Da es bis Guelmim keine gescheiten Übernachtungsmöglichkeiten gibt, muss ich mit einer Art Lehmhütte in der Oase Taghjijt vorlieb nehmen. In der Nähe gibt es noch eine Stelle, die ich mir für die nächste Tour merke. Davon erzählt mir „Ahmad“, der die kleine Herberge hier betreibt am Abend. Ich bin wieder neugierig, will morgen aber auf jeden Fall bis zur Atlantikküste kommen, deshalb muss ich das leider auslassen. Der Spot kommt auf meine ToDo-Liste für die nächste Marokko-Reise.
Die Navigationspunkte für heute sind die Orte Guelmim, Tan-Tan und El Ouatia (Die Einheimischen sagen dazu auch Tan-Tan-Plage wegen dem Strand).
Auf der Strasse steigt die Militärpräsenz mittlerweile stark an. Mehrmals passiere ich Militärkonvois in beiden Richtungen.
Ich bin jetzt schon recht weit im Süden von Marokko, wobei das – je nach Perspektive – nicht korrekt ist. Marokko beansprucht die Westsahara für sich, meint also, das gehört zu Marokko. Aber es gibt wie so häufig Menschen, die sind anderer Meinung.
Zurück zur Streitfrage: Marokko sagt, die Westsahara gehört Marokko. Die Frente Polisario sagt, das Gebiet gehört ihr. Mauretanien sagt „Egal, aber geht uns nicht auf die Nerven“.
Wo war ich? Achja, der Weg zur Küste ist geprägt von vielen Kilometern Autobahn. Marokko möchte Mensch und Material schnell in die Westsahara transportieren können. Ob das jetzt gut ist oder schlecht, kann jeder für sich selbst entscheiden. Man kommt hier jedenfalls schnell voran und muss nur aufpassen, dass man keine Kamele umfährt.
Am Nachmittag erreiche ich El Ouatia. Das ist vielleicht nicht das Vorzeigedomizil Südmarokkos, aber das sind die anderen Orte hier unten auch nicht.
Schon seit Guelmim habe ich mich gefragt, was ich so weit unten eigentlich mache, aber meine Neugier wollte befriedigt werden, denn es gibt so wenig Reiseberichte aus dieser Gegend. Dann muss man da natürlich selber hin und nachsehen…
Der Küstenort gefällt mir trotzdem, weil das Meer einen schönen Kontrast zu Wüste bietet. Ich quartiere mich in einer sehr preiswerten Pension ohne Essen, ohne Frühstück, aber mit einem Innenhof für die Tenere ein. Man muss Prioritäten setzen. Nach den Sand-Eskapaden der vergangenen Tage will ich mal die Kette checken. Da kommt mir ein ruhiges Plätzchen gerade recht.
Das Haus (Hotel wäre deutlich übertrieben) hat schon bessere Zeiten erlebt, aber hier darf man nicht mehr wählerisch sein.
Zuerst fällt mir der Hinweis auf die WiFi-Codes an der „Rezeption“ auf. Das Foto mache ich, weil ich die vielleicht nachher brauche. Aber schon als ich das Smartphone wieder in die Tasche stecke entscheide ich, doch besser den mobilen Hotspot zu verwenden. Berufskrankheit…
Ich schmeisse meine Sachen ins Zimmer und bewundere sowohl die Elektroinstallation…
… als auch die Infrastruktur für die Kommunikationstechnik…
Nee, besser nicht WiFi. Ich packe meinen mobilen Hotspot aus und checke Emails. Während die Tenere also sicher im Innenhof steht, fällt mir im Zimmer der Putz von der Decke ins Bett. Ich muss darüber lachen.
Als nächstes geht es runter in den Hof, einmal Kettenservice bitte, danach laufe ich den kurzen Weg zum Strand.
Mein letzter Tagesordnungspunkt ist der Sonnenuntergang. Einfach nur da sitzen und geniessen. Bis hierher hat das also gut geklappt. Entgegen der Meinung einiger Freunde und Bekannter bin ich immer noch am Leben. Zum Beweis schicke ich noch Grüsse vom Strand nach Hause.
Die Nacht ist ruhig, aber da ich in meiner Unterkunft kein Frühstück erhalte, muss ich im Ort suchen. Ich finde das „Cafe Chbika“ in der Nähe des Hafens, wo mich Jawad versorgt, der hervorragend Englisch spricht.
In Marokko wird meistens Französisch gesprochen, was mir nicht so liegt und bei mir nur für die ganz grobe Kommunikation reicht. Jawad kommt mir also gerade recht!
Das hervorragende Frühstück dauert deshalb sehr viel länger als geplant, weil wir uns völlig verquatschen. Jawad war auch schon etwas unterwegs in seinem Leben, unter anderem in Mittelamerika und hat einen interessanten, respektive weiten Horizont ohne Illusionen. (Das müsste jetzt neutral genug sein. Interpretiere da rein was du willst.)
Zurück zur heutigen Lage: Ab Guelmim kannst du eigentlich nur noch die N1 in den Süden fahren und alle Overlander müssen auf der Westafrika-Route hier lang, denn die Route nach Guelta Zemmur ist eine 250 Kilometer lange Sackgasse…
Der Ortsausgang von El Ouatia ist nochmal der letzte Versuch, etwas Glamour vorzugaukeln, danach ist Marokko irgendwie zu Ende.
Mein nächster Navigationspunkt ist deshalb Tarfaya. Allerdings nicht nur als Navigationspunkt, sondern auch als mein Reise-Minimalziel. Bis dahin wollte ich mindestens kommen. Die Route nach Tarfaya führt immer direkt am Atlantik entlang.
Tarfaya ist für mich deshalb wichtig, weil dort ein gewisser „Antoine de Saint-Exupery“ stationiert war. Die meisten kennen ihn als Autor des kleinen Prinzen, aber Antoine war vor allem auch ein grosser Luftfahrt-Pionier und vor knapp 100 Jahren für 18 Monate in Tarfaya stationiert, um die Luftpost-Route von Paris nach Dakar zu betreiben. Da ich in den 90ern meine Pilotenlizenz erworben habe und leidenschaftlich gerne fliege, muss ich da also hin, zumal es in Tarfaya noch die alte Landepiste und ein kleines Museum von Saint-Exupery geben soll.
Weiterhin laufen hier überall wilde Kamele rum. Das sind so viele, dass ich sie dann nicht mehr richtig registriere. Bei meiner ersten Marokko-Reise war ich total aus dem Häuschen, als ich freie Kamele gesehen habe, hier sind die völlig normal. Es sind so viele, dass du aufpassen musst, keins umzufahren.
Ich verlasse El Ouatia um auf der küstennahen Strasse zu fahren. Ab jetzt ist rechts von mir immer das Meer, links die Sandwüste. Dieser Kontrast ist zunächst noch ganz interessant, aber wenn man das Bild dann stunden- oder tagelang hat…
Die Strecke führt durch den Nationalpark Khenifiss, der landschaftlich ebenfalls sehr schön ist.
Was hier aber erheblich zunimmt, ist die Militärdichte. Die Anzahl an Checkpoints ist schon seit Guelmim angestiegen, aber je weiter ich nun in den Süden komme und je näher die „Grenze“ zur Westsahara heranrückt, desto mehr Präsenz von Fahrzeugen mit Flecktarnung ist vorhanden.
Meistens wird man durchgewunken, aber die Posten, an denen Männer in grauer Uniform mit Mütze oder – offenbar noch wichtiger – Männer in Zivil (ohne Mütze) kontrollieren, verlangen eine Identifikation, Personal- und Fahrzeugdaten und die Reiseroute, also mal wieder „Fiche“. Alles sehr förmlich-freundlich, aber bestimmt.
Das alles dient weniger der Überwachung, sondern eher dem eigenen Schutz. Wie schon erwähnt ist die Lage hier unten, sagen wir mal „etwas angespannt“. Jedenfalls versuchen UN-Posten die beiden Lager (Marokkaner und Frente Polisario) zu trennen. Zum echten Problem wird das aber erst im Osten dieser Region oder ganz im Süden, an der Grenze nach Mauretanien.
Die herumstehenden Kamele geben sich davon unbeeindruckt.
Hmm, ich schweife schon wieder ab?! Entschuldige. Ich habe vor Tarfaya noch weitere Aufgaben auf meiner Todo-Liste: Tiefsand, Offroad, Dreckpisten. (Ich habe das „s“ in der Mitte entfernt, so passt der Begriff auch besser). Naja, und Sand gibts hier wahrlich genug.
Bevor ich wieder die Zeit verliere, erreiche ich Tarfaya. Zu meiner grossen Enttäuschung ist das Museum geschlossen. An der Tür hängt ein Zettel mit einer Telefonnummer und ich rufe da an.
Leider wird mir erklärt, dass heute Freitag ist, da geht in Marokko gar nichts, denn Freitags wird gebetet. Das Museum bleibt also heute geschlossen. Ich ärgere mich zunächst über mich selbst, denn das habe ich nicht berücksichtigt.
Andererseits muss ich auf dem Rückweg mangels Alternativroute wieder hier lang, erhalte im Idealfall also eine weitere Chance. Ich nutze dann noch die Gelegenheit, Antoines Denkmal zu fotografieren.
Im Hintergrund gibt es ein verfallenes Gebäude, das heute dem Militär gehört. Links daneben, fast am Strand ist der Posten, der die Zufahrt zur Landepiste bewacht. Ich konnte ihn nicht überreden, da mit dem Motorrad reinfahren zu dürfen. (Ich konnte ihn auch nicht überreden, da zu Fuss reinzulaufen…)
Ansonsten gibt Tarfaya nicht viel her. (Tarfaya gibt überhaupt nichts her, aber ich will es nicht so respektlos ausdrücken…)
Mein Pech mit dem Museum in Tarfaya habe ich verarbeitet und suche akribisch nach Alternativen an diesem gottverlassenen Ort. Ich finde zwei:
Erstens die Ruine der alten „Casa Mar“, das ist das etwas seltsam am Strand liegende Fort, das 1882 von den Engländern gebaut wurde.
Zweitens die 2008 gestrandete „Assalama“, die bis zum Missgeschick des Kapitäns zwischen den Kanaren und Tarfaya verkehrte, vor der Küste auf Grund gesetzt wurde und hier jetzt vor sich hin rostet.
Beide Spots passen gut zu Tarfaya. Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie sich Antoine vor einhundert Jahren hier gefühlt hat. Und der hatte nicht mal Instagram!
Jetzt muss ich mich entscheiden, ob ich weiter noch nach Süden fahre. Mir ist bewusst, dass jeder Kilometer weiter auch bedeutet, ich muss das wieder auf dem gleichen Weg zurück. In meiner Planung hatte ich Nouadhibou in Mauretanien als südlichsten Punkt festgelegt, aber im Moment kommen mir Zweifel, angesichts der Entfernungen und dem was mich erwartet: Sand, Sand, Wüste und Sand.
Das Auswärtige Amt sagt ausserdem „Von Reisen in das Gebiet der Westsahara wird dringend abgeraten“. Na gut, dann muss ich da wohl hin. (Du weisst, ich habs nicht so mit Aussagen von „Autoritäten“…)
Von Tarfaya gibt es – letzte Chance auf Abwechslung – nochmal zwei parallel verlaufende Strassen nach Laayoune. Die grössere N1 im Hinterland (scheidet aus) und, vermutlich fürchterlich langweilig, die alte Küstenstrasse. Mir wäre die Küstenstrasse lieber, aber ich bin unsicher, ob die noch befahrbar ist. In Tarfaya habe ich mich danach erkundigt. Die Aussage war, dass die nicht mehr so viel genutzt wird und der Zustand von der Anzahl der Sandverwehungen abhängt.
Es sind 100 Kilometer und ich denke, wenn es nicht weitergeht, kann ich immer noch umkehren und nach Tarfaya zurückfahren.
Die Küstenstrasse ist so wie erwartet: Links Sand, rechts Wasser, null Ortschaften. Bemerkenswert sind nur die Posten an der Küste, bestehend aus einem Container-Haus, einem Toilettenhaus, einer Lkw-Kabine und meistens einer kleinen Antenne. Alle etwa zwei Kilometer steht einer dieser Posten. Manchmal hängt eine Wäscheleine vor der Tür, die Posten sind also besetzt. Ich weiss gar nicht, was ich dazu sagen soll. Rundherum ist hier sonst nichts.
Ich fahre weiter nach Laayoune bzw. Foum el-Oued oder Laayoune Plage, je nach Bezeichnung. Die Küstenstrasse wurde nur zwei Mal von Sandverwehungen unterbrochen, die aber passierbar waren. Sandverwehungen sind nur fahrtechnisch etwas schwierig. Ich stelle fest, dass man etwas „Speed“ braucht um ohne umfallen durchzukommen.
Falls du mal durch eine Verwehung aus feinem Sand musst: Nicht unter 20km/h, besser 25, Gewicht nach hinten, Blickführung weit voraus. (Ich will hier nicht klugscheissen, aber dir die Ernüchterung ersparen, wie Wüstensand schmeckt…)
Port Laayoune ist ebenso ernüchternd, eigentlich eher ein hässliches, künstliches Industriegelände mit dem Verladehafen für den Phosphatabbau in Bou Craa.
Wer mal gigantischen Tagebau sehen will, ist in Bou Craa richtig. Dagegen ist Garzweiler ein Sandkasten. Ich fotografiere noch das längste Förderband der Welt (100 Kilometer von Bou Craa bis Port Laayoune).
Ein paar Meter weiter wummert abseits der Strasse ein Dieselaggregat, während nebenan pechschwarzer Rauch aus einem alten Ofenrohr die Luft verpestet.
Wie gesagt: Port Laayoune ist eigentlich nur ein Industriestandort. Mehr kann man hier nicht reininterpretieren, selbst mit Fantasie nicht…
Der einzige Lichtblick hier unten ist der subventionierte Westsahara-Spritpreis von umgerechnet 1,05 Euro für den Liter Superbenzin.
Nun muss ich mir eine Übernachtung suchen und wähle das „Beauport“, das mit „Beau“ – wie der ganze Ort – nicht wirklich etwas zu tun hat. Der nichts sagende Betonblock liegt am Nordende von Port Laayoune und mir fällt absolut nichts ein, was ich dazu noch schreiben könnte…
Ich bin ernüchtert und etwas deprimiert. Der nächste erwähnenswerte Ort wäre Dakhla, das liegt 530 Kilometer noch weiter südlich und Nouadhibou in Mauretanien fast 900 Kilometer. One-way! Und das muss ich dann alles wieder zurück, also 1800 Kilometer Sand, Sand, Sand. Irre.
Ich fahre jetzt etwas ziellos herum und weiss nicht mehr was ich sagen soll.
Am Meer stelle ich die Tenere ab und schaue auf die endlose Weite des Atlantiks. Auch von ihm erhalte ich gerade keine Antwort.
Ich entscheide mich an diesem Abend dazu, ab hier wieder in Richtung Norden zu fahren. Die 1000 Kilometer reine Wüste seit Guelmim reichen mir dann. Glaub mir: Irgendwann kannst du keine Sanddünen mehr sehen.
Der nächste Tag. Um jetzt nicht den Verstand zu verlieren, krame ich wieder meinen Spieltrieb hervor: Also Dreckpisten fahren.
Ich versuche nochmal den Sand zu bezwingen, was mit meinen Reifen eine wiederholt dumme Idee ist. Einmal brauche ich eine knappe Stunde für zwei Kilometer, weil ich unbedingt nochmal Tiefsand probieren muss. Saublöd!
Das Moped stell ich noch vor einer der Sanddünen ab, um ein Foto zu machen, dann reicht es wirklich.
Ich treffe die Entscheidung, für den Rest der Reise auf Experimente dieser Art zu verzichten?! Ähhh…
Viel mehr Spass macht nämlich fester Sand. Zwischen El-Aaiun und Tarfaya kannst du also die A1 fahren (die ist langweilig) oder näher am Meer die alte Sahararoute (die etwas weniger langweilig ist). Die Aussage in Tarfaya war ja, die Befahrbarkeit der Strecke hinge von der Anzahl der Sandverwehungen ab. Wie gesagt, irgendwann kannst du das Wort „Sand“ nicht mehr hören.
Mein ultimativer Tipp deshalb: Unbedingt auf die Pisten, die zwischen den Sanddünen entlangführen abbiegen. Verirren ist hier unmöglich, denn spätestens in 25 Kilometern Entfernung hast du westlich die Küste und östlich die N1. Dazwischen soll es angeblich keine Rebellen geben. Und die Himmelsrichtungen dürfte wohl jeder finden, oder?!
Zwischenfazit:
Feiner Sand ist schlechter Sand. Fester Sand ist guter Sand. Schotter ist auch gut, aber nicht ganz so gut, weil es überall klappert. Aber fester Sand, da kann man richtig fliegen lassen. Und man zieht so eine tolle Staubwolke hinter sich her, die ich selber nicht fotografieren kann, weil ich mich dabei auf die Fress… legen würde. Du siehst, hier unten bist du kurz vorm Wahnsinn.
Zeitsprung. Ich passiere somit wieder Tarfaya und habe da noch eine Rechnung offen, fahre also nochmal zum Museum und hoffe, dass es heute mit dem Besuch klappt. Als ich ankomme, ist sogar schon die Tür geöffnet und ich freue mich riesig bei dem Anblick.
Gerade jetzt ist eine Schulklasse mit dem Besuch fertig. Ich werde gefragt woher ich komme und wieso ich hier bin und als ich die ersten Fragen beantwortet habe, ist grosser Tumult.
Alle müssen sich aufstellen und es werden Fotos gemacht. Es werden Fotos gemacht mit Lehrern, mit Jungs, mit Mädels, mit allen.
Dann dürfen alle Fragen stellen. Ein Mädchen ist besonders pfiffig und stellt genau die richtigen: Wieso ein Flugzeug fliegt, wie man es landet (Das ist übrigens schwieriger als starten) und ob sie Pilotin werden kann. Zum Schluss lasse ich den Lehrer übersetzen, sie möge bitte niemals aufhören zu Fragen und immer daran glauben, dass sie fliegen wird. Dieses Freiheitsgefühl ist unbeschreiblich!
Zu bewundern gibt es viele Modelle und Fotos der alten Maschinen. Ich mache mir Gedanken darüber, den Ärmelkanal in einer Cessna 172 zu überfliegen, weil die nur einen Motor hat und diese Kerle haben vor 100 Jahren Maschinen geflogen, die 10 Liter Öl pro Stunde an den Kolben vorbei gedrückt haben. Antoine ist mehrmals in der Wüste notgelandet und hat dann beim Warten auf Hilfe aus Langeweile Literaturgeschichte geschrieben.
Dagegen ist alles was ich hier mache ein Kindergeburtstag!
Ich versuche dann nochmal, Antoines Piste zu besuchen, aber die liegt mitten im Militärgelände und da komme ich auch von der anderen Seite nicht ran. Mir gelingt nur ein Foto aus der Ferne, ohne dass ich Details der Bahn erkennen kann.
Dann gebe ich wieder Tan-Tan-Beach als Ziel ein und fahre lächelnd aus Tarfaya ab, immer an der Küste entlang. Ab und zu mache ich einen Abstecher in die Wüste, aber nur noch auf festem Sand! Naja, fast…
Das Navi sagt nun: Nächste Abbiegung in 178 Kilometern. Super!
Einmal gibt es am östlichen Ende des Khenifiss-Nationalparks tatsächlich einen kleinen Fischerort, der nicht nur aus Ruinen besteht und den schaue ich mir noch an.
Der Ort besteht nur aus sechs baufälligen „Häusern“ aber er strahlt eine wunderbare Ruhe aus und man hat an der Steilküste einen tollen Blick auf die Lagune.
Ansonsten ist das einzige Highlight Akhfenir, wo man nochmal tanken kann (und sollte!!). Ich fotografiere mal wieder einen der tollen Lkw und tanke nicht, weil ich meine, ich schaffe es noch bis Tan-Tan.
Das war nicht so schlau, denn ich habe durch diverse Spielereien abseits der Strasse offenbar mehr Sprit verbraucht als gewöhnlich. Zuerst registriere ich das gar nicht, weil ich noch ein Loch im Sand finde, das die Wellen des Atlantiks gezaubert haben.
Wenig später blinkt die Tankanzeige im Display. Bei der Tenere blinkt die recht früh, aber ich fange trotzdem an, mir Gedanken zur Reststrecke zu machen. Wann kommt nochmal die nächste Tankstelle?
Es kommt wie es kommen muss: Ich darf meine Reserve aus dem Kanister nachfüllen. Der hat zweieinhalb Liter und das reicht auch nur für weitere 50 Kilometer.
Gut, dass mein Navi auf diese Entfernung die nächste Tankstelle angibt. Schlecht, dass diese Tankstelle zwar im Navi angegeben ist, den letzten Tropfen Sprit aber 1970 ausgegeben hat.
Soweit ich mich erinnern kann, ist es das erste Mal, dass ich auf einer Reise keinen Sprint mehr habe. Die Tenere bleibt zehn Kilometer weiter am Strassenrand liegen und ich mache ein dummes Gesicht. Immerhin weiss ich, wo das Problem ist und muss mich nicht auch noch auf die Suche nach dem Fehler begeben. Es ist mein Fehler, nicht der des Motorrads.
Ich stehe also in der Sonne auf der einzigen Strasse zwischen Westsahara und Mauretanien und packe den leeren Reservekanister aus. Ich denke, wenn ich den in die Höhe halte, wird irgendein Auto mein Problem erkennen.
Das erste Auto, das anhält, ist ein Polizeiwagen. Die beiden Beamten haben zwar keinen Sprit dabei, weisen mir aber den Rücksitz zu und soweit ich es richtig verstehe, können sie mich zur nächsten Tankstelle bringen. Ich nehme den Rucksack mit den wichtigsten Dingen mit, verschliesse beide Koffer und gebe mich dann unbesorgt in die Hände der marokkanischen Offiziellen.
Die Fahrt dauert etwa 20 Minuten und endet an einer Hütte, die gefährlich wenig nach Tankstelle ausschaut. Der Beifahrer deutet auf die Bretterbude und sagt „Petrol“. Ich steige aus und bin etwas irritiert, vertraue aber mal auf die Sach- und Ortskenntnis der beiden Uniformierten.
Noch ehe ich die Hütte erreiche, öffnet sich die Tür und ein Mann kommt heraus. Ich halte den Reservekanister und meine eineinhalb Liter Plastikflasche hin und sage bittend „Petrol“. Der Mann nimmt beide Behälter und befüllt diese aus einem 10 Liter Plastikbehälter, deren Inhalt so aussieht, als ob es Benzin sein könnte. In Gedanken grüble ich über die Spritqualität und ob das, was er da umfüllt reinen Sprit enthält oder wie hoch der Wasseranteil ist, will aber den Teufel nicht an die Wand malen. Die Polizisten und der Kerl hier haben mir geholfen und ich bin froh. Er wird von mir ordentlich entlohnt. Es ist jedenfalls so viel, dass keine Nachforderungen gestellt werden.
Mit Kanister und Plastikflasche geht es zurück zum wartenden Polizeiwagen. Die beiden drehen prompt um und bringen mich ungefragt wieder in Richtung Süden. Erwartungsgemäss steht die Tenere genau so am Strassenrand, wie ich sie vorhin verlassen habe. Erst als ich meine Sachen wieder sortiere und den Sprit in den Tank fülle, kommen in mir Gedanken darüber auf, was während meiner Abwesenheit hätte passieren können. Aber mal ehrlich: Hätte hier im Nirgendwo irgendwer ein so auffälliges Motorrad mitgenommen? Oder meine Schmutzwäsche in der Gepäckrolle? Eher nicht.
Ich möchte mich bei den beiden bedanken, aber sie lehnen jegliche Vergütung ab. Mir bleibt nichts weiter übrig, als „Alahi salam“ zu sagen, was – soweit ich das korrekt wiederhole – soviel heisst wie „Gott schütze euch“. Ihrer Reaktion entnehme ich aber, dass sie wissen was ich meine, unabhängig davon, ob ich es korrekt ausgesprochen habe.
Nach kurzem Orgeln durch den Anlasser springt die Maschine wieder an, womit sich auch meine nächste Sorge in Luft aufgelöst hat. Meine Frau beschäftigt sich häufig mit Gedanken über mögliche zukünftige Probleme, während ich ihr immer rate, das erst dann zu machen, wenn das Problem auch wirklich auftritt. Nicht immer befolge ich meinen Rat auch bei mir selbst…
Egal. Ich bin wieder mobil, auf der Strasse nach Norden unterwegs und fotografiere schon wieder während der Fahrt. Mal ist es ein geliebter Defender… (je verranzter desto bessser)
…mal ein Eselskarren auf der leeren Autobahn vor Guelmim.
Die Wüste möchte ich nun endlich hinter mir lassen, deshalb nehme ich die neue Schnellstrasse. Es hat seinen Reiz, durch den Sand zu fahren und da rumzuspielen, aber wenn man die Erfahrung gesammelt hat, ist das auch bald erledigt. Die letzten Tage waren derart voll mit Sand und Dünen, es reicht wirklich. Ich bin froh über das nächste Ziel auf meiner Liste: Sidi Ifni.
Die nächste Übernachtung verbringe ich nochmal in El Ouatia, dann geht es zurück nach Guelmim (mangels Alternativen) und weiter an die Südwestküste Marokkos.
Sidi Ifni ist ein Urlaubsort. Alles deutet darauf hin, dass die Marokkaner hier ihr Feriendomizil gefunden haben. Abgesehen vom Klima unterscheidet sich Sidi Ifni insofern wenig von Grömitz oder Sankt Peter Ording. (Ok, der Vergleich hinkt, aber du weisst, was ich meine…)
Also: „Sankt Sidi“ lasse ich buchstäblich links liegen und begebe mich weiter auf der R104 in Richtung Legzira. Bei Legzira muss ich anhalten, weil es hier diesen schönen Strand mit dem imposanten Torbogen geben soll.
Den Torbogen gibt es tatsächlich und der Strand ist traumhaft. Das wissen aber auch die Marokkaner und deshalb ist Legzira vorsichtig ausgedrückt „lebhaft“. Trotzdem: Der Abstecher lohnt sich.
Nachdem man oben von der Strasse abgebogen ist, geht es runter Richtung Strand. Fahren kann man nur bis etwa 100 Meter vor die Küste, danach muss man zu Fuss gehen. Unten am Strand läuft man dann nach links, bzw. in südlicher Richtung.
Dann kommt man zu dem markanten Torbogen, der tatsächlich noch imposanter ist, als ich erwartet habe.
Auf dem Rückweg kommt mir ein Marokkaner mit Kunden auf Kamel entgegen. Er schaut mich an und ich muss breit grinsen bei dem sehr touristischen Anblick. Also zücke ich die Kamera und fotografiere als Tourist die Touristen auf den Kamelen des Touristenführers. Sowohl er, als auch seine Kunden lachen und winken. Es ist irgendwie völlig abgedreht. Ich denke, ich kann diesen schönen, aber auch seltsamen Ort nun wieder verlassen…
Mehr aber noch lohnt die wirklich schöne Strasse hier an der Küste entlang bis Mirleft und Gourizim. Weil ich es so toll finde, fahre ich noch weiter über die P1905, bevor ich dann in Richtung Tiznit abbiege und die Westküste Marokkos zunächst verlasse.
Das waren jetzt 1.100 Kilometer Sand und jetzt möchte ich wieder in die Berge. Bei Zaouit Aglou verlasse ich das Meer und biege ab in Richtung Tiznit mit meinem Tagesziel Tafraoute.
Die Strecke nach Tafraoute ist wieder abwechslungsreich. Das Meer hat wirklich eine beruhigende Wirkung, aber irgendwann wird auch das eintönig hier unten. Muss man bis zur Westsahara fahren? Eher nicht, es sei denn, du willst auch mal in das Museum von Antoine.
Wenn du mich heute fragst, kannst du Marokko maximal bis zur Achse Zagora-Guelmim fahren. Danach wird etwas öde, es sei denn, du willst viel abseits der Zivilisation im Sand rumspielen.
Nur wenn du die Westafrika-Route fahren willst, weil deine Ziele der Senegal oder Sierra Leone sind macht es Sinn, Routen weiter südlich einzuplanen. Aber dann empfehle ich Geduld und Sitzfleisch. Achso: Und eine vorausschauende Spritplanung!
Zurück zur Route: Die 120 Kilometer Fahrt in Richtung Tafraoute dauert. Das liegt vornehmlich an den vielen Stopps die ich mache. Schon die Anreise hier lang ist toll.
Tafraoute gilt als eine der schönsten Gegenden im Antiatlas und ist aus diesem Grund Bestandteil meiner Planung. Die Strecke führt über ein paar Pässe ohne Namen und durch schöne kleine Ortschaften. Über lange Kilometer ist aber nichts los und man fährt immer noch alleine.
Für die Gegend um Tafraoute bin ich zuversichtlich, dort irgendwann mal wieder andere Motorradfahrer zu sehen. Tafraoute liegt mitten im Antiatlas, somit im südlichsten Teil der drei Atlas-Gebirgsketten. Alle Berichte sprechen begeistert von dieser Ecke und ich freue mich, wieder auf die Berge.
Je näher man dem Ort kommt und je höher die Berge werden, desto öfter muss ich wieder stoppen und Fotos machen. Selbst durch Palmenwälder kann man hier fahren und es ist wieder eine ganz andere, neue Landschaft im Gegensatz zur Küste und Wüste.
Tafraoute ist aber auch als Ort schön, viel sauberer als alles, was ich im Süden Marokkos und in der Westsahara gesehen habe. Und weil Tafraoute touristisch erschlossen ist, gibt es auch ein gutes Angebot an Hotels und B&B.
Als ich in Tafraoute ankomme merke ich, dass ich langsam müde werde. Nicht müde zum schlafen, sondern müde deshalb, weil ich seit dem Sandsturm in Merzouga keine Pause mehr hatte, auch wenn sie in Merzouga erzwungen war. Ich bin die vergangenen Tage von morgens bis abends gefahren, plane nun einen Tag Ruhe und möchte mir ein Hotel mit guter Ausstattung suchen. Jeder der eine Zeit lang mit dem Motorrad unterwegs war weiss was ich meine. Irgendwann brauchst du mal eine Pause. Ein Tag reicht schon, aber Pause muss manchmal sein…
Die nächste Bleibe darf also einen Euro mehr kosten. Meine Wahl fällt auf die „Kasbah Chez Amaliya“, etwas nördlich von Tafraoute im winzigen Ort Ammelne. Das Haus ist ein Volltreffer.
Das Chez Amaliya liegt direkt an der Verbindungsstrasse. Ich stelle die Tenere im Innenhof ab und werde freundlich empfangen. Die Zimmer liegen alle rund um den Pool im Innenhof. Als ich in Motorradklamotten und mit meinem Gepäck am Pool entlanggeführt werde, liegt dort ein Paar mit zwei kleinen Kindern. Der Vater mustert mich aufmerksam. Ich schmeisse alles nur schnell ins Zimmer und schlüpfe dann direkt in die Badehose. Jetzt ein Sprung ins kalte Wasser ist genau das Richtige.
Als ich mit der Erfrischung fertig bin und aus dem Pool komme, spricht er mich an. Er ist Brite und schwärmt von seiner Ducati Multistrada. Wie gerne würde er hier auch mit seiner Maschine durch die Gegend fahren. Ich muss ihm alles ganz genau erzählen, also wer, woher, wohin, wieso und überhaupt…
Ich habe den starken Eindruck, er würde jetzt lieber durch den Antiatlas bügeln und kenne den Zwiespalt. Es gibt eine Zeit für Familie und eine Zeit für Alleinreisen. Unsere Töchter sind erwachsen, deshalb ist gerade Zeit für Solo-Motorradreisen. Ist eben so…
Als er zwei Biere kommen lässt realisiere ich, dass das Chez Amaliya eine Alkohollizenz besitzt. Das macht das Haus auch nicht schlechter. Am Abend versorgt uns dann das Restaurant im Hauptgebäude mit marokkanischen Köstlichkeiten. Es ist alles ganz wunderbar. Hier fühle ich mich pudelwohl. Später schwärmt einer der Kellner von der Gegend hier und hat auch reichlich Tipps parat. Alles klingt recht verlockend.
Am nächsten Morgen will ich schnell zur Tenere und schauen, ob es ihr gut geht. Nur kurz Kettenpflege und ein allgemeiner Technikcheck, denn heute will ich den Pausentag einlegen, ausruhen und faulenzen. Die Luft ist klar, es ist nicht zu warm, ich habe gefrühstückt… ach… und schon ist der Pausenplan dahin.
Ich denke, es wäre doch gut, wenigstens ein paar Kilometer hier in der Gegen zu fahren. Einfach mal ohne die Koffer, die ich ja im Hotel lassen kann. Ich glaube, Pause geht auch später noch.
Einer der Hotelangestellten hatte mir ja gestern Abend eine besondere Route, südöstlich von Tafraoute empfohlen. Es ginge durch die Berge, durch eine Oase und dann mit viel Offroad zurück. Nicht lang, aber ich würde bestimmt viel Spass haben. Wie könnte ich die Empfehlung eines Einheimischen ignorieren?
Kurz später sitze ich also wieder auf der Tenere und fahre durch kleinste Wege des Antiatlas. Zunächst geht es in die Höhen und die Temperaturen sind mal wieder Marokko-untypisch niedrig. Dann fahre ich durch die langgezogene Schlucht der Oase Ait Mansour, die sich wirklich lohnt.
Auf der Strecke wechseln sich Sand, Schotter und Asphaltreste ab. Man ist gut beraten, vorausschauend zu fahren. Es kann gut sein, dass man flott auf Asphalt fährt, wobei die nächste Kurve schon wieder aus Schotter besteht. Und Schräglage auf Schotter ist nicht so gut.
Landschaftlich ist es ein Traum. Der gute Vorsatz, den Tag auszuruhen ist genau so dahin wie das Vorhaben, heute mal keine Fotos zu machen. Dazu gibt es viel zu viele schöne Motive.
Als sich die Schlucht wieder in ein weiteres Tal öffnet, durchquere ich noch ein fast verlassenes Bergdorf. Da ist es wieder: Diese Weite, Ruhe, Einsamkeit. Gut, dass ich mich heute früh umentschieden habe. Gut, dass ich nichts vor buche. Gut, dass ich flexibel bin.
Als ich die Geisterstadt verlasse, sehe ich ein Schild „Akka Goldmining“. Ich bin ein grosser Edelmetall-Fan und die Mine würde ich mir gerne ansehen, also fahre ich von der empfohlenen Route ab.
Die Strasse führt noch über einen Bergkamm, danach geht es hinunter in eine weite Ebene. Hier liegt ein 6400 Quadratkilometer grosses Gebiet vor mir, in dem es nur noch Schotterpisten gibt. Keine einzige befestigte Strasse führt hindurch. Die Mine liegt am Rand des Gebiets, jedenfalls in Relation zur Gesamtgrösse.
Ich komme aber nur bis zum Eingang des Minengeländes. Blöd ist, dass das streng bewacht wird. Ich darf nicht mal Fotos am Zaun des Geländes machen. Und selber schürfen ist auch nicht gestattet. Schade.
Etwas enttäuscht drehe ich um und fahre wieder zurück zur empfohlenen Route, die ab der Stelle, an der ich zur Mine abgebogen bin „abenteuerlich“ werden soll. Meine Spannung steigt wieder. Wenn die Tenere bisher mit Koffern funktioniert hat, sollte es hier mit weniger Gewicht allemal klappen.
Eine letzte Bergaufpassage, dann folge ich der empfohlenen Offroad-Strecke, mehr nach Gefühl als nach Plan. Der Kellner gestern Abend hatte mir die Route auf meiner Landkarte gezeigt. Die ist zwar im Massstab 1:1.000.000, aber besser als nichts. Ohne Papierkarten fahre ich nicht los.
Der Asphalt endet mal wieder und für die nächsten Stunden ist Offroad angesagt. Herrlich! Es geht durch die Täler und mehrmals quer durch ausgetrocknete Flussbetten. Jetzt realisiere ich wieder wie schön es ist, eine Reiseenduro ohne Gepäck zu bewegen. Im Gegensatz zu meiner normalen Reisekonfiguration bin ich gerade federleicht unterwegs.
Stundenlang fahre ich durch die Prärie. Nur ein Mal kommt mir ein alter Pickup entgegen, ansonsten ist hier völlige Einsamkeit. Der Routentipp ist spitzenklasse!
Man sollte immer auf die Einheimischen hören. Das ist auch der Unterschied zu Pauschalreisen. Da bekommst du sozusagen die Tütensuppe vorgesetzt und darfst nicht aus dem Topf (ich meine aus der Hotelanlage) rausschauen. Wenn du selbst unterwegs bist, kannst du mit den Menschen vor Ort sprechen. Es gibt viel mehr zu entdecken, als das was dir der Reiseprospekt erzählt. Je weiter weg vom Massentourismus (Marrakech!), umso besser!
Ich bleibe dann auch nur ein Mal an einer Stelle stecken, wo feiner Sand und eine Steigung ins Nichts ohnehin das Ende der Route markieren. Das Motorrad kriege ich diesmal sogar ohne Umschmeissen umgedreht. Meine Lernkurve steigt.
Das Verhängnis ist diesmal wieder der tiefe Sand. Überall komme ich nun klar, aber Tiefsand ist mein Showstopper, der setzt den TKC70 die ultimative Grenze. (Da nützt irgendwann auch eine Lernkurve nichts mehr)
Zurück geht es aber weiter über Stock und Stein, wobei die Tenere mit jedem Kilogramm weniger, mehr Freude macht. Was für ein fantastisches Motorrad, was für eine tolle Maschine, was für ein Spass! Das muss sich hier mal loswerden. Ich fürchte nur, morgen müssen Alukoffer und Gepäck wieder mit…
Wahr ist, dass das Zusatzgewicht an der Tenere die Einsatzmöglichkeiten einschränkt. Andererseits hätte man ohne seine sieben Sachen gar nicht die Möglichkeit für eine solche Reise. Man kommt an den Punkt, wo jedes Teil hinterfragt wird. Und auch die Alternative ohne Alukoffer, stattdessen mit Softgepäck wäre eine Überlegung wert. Aber das soll ein anderes Thema sein.
Irgendwann am Nachmittag komme ich wieder in die Nähe von Tafraoute. Südlich der Stadt soll es noch eine Stelle geben, die einen Besuch wert ist: Bemalte Felsen. Ich hatte bei der Recherche Fotos gesehen und dachte mir, wenn die Zeit es zulässt, schaue ich mir das an. Die Felsen erreicht man wieder nur über eine staubige Schotterpiste.
Erwartet hätte ich hier Touristen, aber das überraschend grosse Gelände auf einer Anhöhe ist erfreulich ruhig. Nur zwei oder drei Fahrzeuge sind ausser mir hier.
Die Felsen – vornehmlich hellblau bemalt – sind wirklich skurril. Das sind auch nicht nur drei Steinchen, die angemalt wurden. Hier erstrahlen ganze Felsformationen in blau, gelb und rot. Alles Bonbonfarben. Ich überlege lange, ob ich das nun schön oder kitschig finden soll und entscheide mich für „künstlerisch“.
Das war ein perfekter Tag. Entgegen der Absicht, es ruhig anzugehen und auszuspannen, bin ich wieder unterwegs gewesen. Gut, dass ich mich umentschieden habe! Über Tafraoute fahre ich zurück zum Hotel nach Ammelne.
Als ich am Nachmittag wieder im Hotel bin, steht neben mir eine Husqvarna Norden 901 mit marokkanischem Kennzeichen. Ein deutsches Paar hat sich die Maschine in Agadir geliehen und ist nun hier in der Gegend unterwegs. Sie sind beide begeistert von der 901 und meinen, die wäre auch im Zwei-Personen-Betrieb viel besser und handlicher als sie ausschaut. Jedenfalls sind die beiden die ersten Motorradreisenden seit einer Woche in Foum-Zguid. Jetzt fühle ich mich nicht mehr ganz so einsam…
Ich entspanne noch eine Stunde am Pool und komme zur Erkenntnis, dass das als Pausenprogramm völlig ausreicht. Jeder genutzte Kilometer war die totale Erfüllung. Der Abend ist dann so unterhaltsam, dass er einen würdigen Tagesabschluss darstellt. Das war wieder ein richtig guter Reisetag!
Heute soll es weiter nach Norden gehen. Mein nächstes Highlight ist der berühmte „Tizi n Test„, sicherlich einer der bekanntesten Pässe Marokkos. Der „Test“ (so kürze ich den mal ab) führt etwa 220 Kilometer von Marrakech bis nach Taroudannt.
Aber wenn ich den fahren will, muss ich erstmal nach Taroudannt. Ich fürchte also, heute früh muss das Gepäck wieder rauf aufs Moped. In diesem Moment glaube ich noch, der letzte Teil meiner Reise wäre ab jetzt entspannt…
Hier geht es zu Teil 3.
Alexander Bayerlein 24/12/2023
Hallo Elmar,
pünktlich zu Weihnachten der zweite Teil. Danke dafür.
Kompliment, die Benachrichtigung funktioniert bei Dir hervorragend. Wie schon im ersten Teil super Fotos und, hab nur kurz darüber gelesen, wieder eine super „Schreibe“.
Werde mich über die Feiertage bestimmt ausführlich damit befassen.
Schade nur, dass die „Nur-gsFahrer“ darauf nicht mehr hingewiesen werden, kann Dich aber gut verstehen.
Dir und Deiner Familie ein friedvolles Weihnachtsfest und nochmals Danke.
Freue mich schon auf die Fortsetzung.
Herzlichst Alexander
Michael 25/12/2023
Hallo Elmar,
Wie immer…ein grandioser Bericht, den ich verschlungen habe. Danke für die Zeit, die du dir nimmst, damit wir dich retrospektivisch begleiten dürfen.
Ich freue mich auf Teil 3.
Liebe Grüße
Michael
Klaus 30/12/2023
Hallo Elmar
Toller Bericht – lässt mich zweifeln, welche meiner Maschinen hier die Beste für mich ist, die große 12 er LC GSA oder die X Challenge.
Geplant ist die Traileranreise nach Südspanien – Befürchte, dass eine Mittelklasse Maschine ala T 7 oder KTM 890 R mit softgepäck und ohne Viel Zubehör hier die beste Wahl ist?
Weiter so!
Klaus
Elmar 30/12/2023 — Autor der Seiten
@Alexander
Dankeschön. Ich denke, die Kollegen im GS-Forum werden es überleben…
@Michael
Teil 3 soll schneller kommen. Soweit jedenfalls mein Plan.
@Klaus
Die beste Maschine ist die, die du nimmst und mit der du losfährst. Ich war zwei Mal mit der GSA in Marokko und jetzt mit der Tenere 700. Jede Maschine hat Vor- und Nachteile. Mach dir keine Sorgen: Marokko ist mit jedem Motorrad eine Reise wert! Die einzige falsche Entscheidung wäre, gar nicht hinzufahren.