Dies ist Teil 3 meiner Balkanreise 2021, hier ist Teil 2.
Das Überqueren der Grenze verläuft hier genau so unkompliziert wie zuvor in den Kosovo und nach Nordmazedonien. Der freundliche Grenzbeamte schaut nur kurz auf den Reisepass, den Kfz-Schein und die grüne Versicherungskarte. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt nachgesehen hätte, würden Kfz-Schein und grüne Karte nicht ohnehin weit oben im Kartenfach meines Tankrucksacks bereitliegen.
Die Prozedur dauert vielleicht eine Minute und er winkt mich durch. Meine Sorge, ob dieser abgelegene Übergang für ausländische Fahrzeuge offen ist, war also unbegründet.
Ich bin nun zum zweiten Mal in Albanien und sehr zuversichtlich, dass es mir wieder so gut gefallen wird, wie bei meinem ersten Besuch.
Die Gegend hier ist hügelig und sehr trocken und ich mache mich auf den Weg über Krumes in Richtung Kukes.
Die obligatorischen Bunker stehen am Wegesrand und deuten unmissverständlich darauf hin, dass man in Albanien ist. Ich glaube, kein Land der Erde hat eine höhere Dichte an Betonbunkern.
Die zu Zeiten des ehemaligen albanischen Diktators Enver Hoxha gebauten Bunker könnten das offizielle Wahrzeichen Albaniens sein, wenn sie nicht so hässlich wären.
Die Strasse führt bis hinunter an den ersten Stausee bei Kukes, wo die einzige Brücke auf über 50 Kilometer eine Querung des aufgestauten Flusses möglich macht.
Hinter Kukes möchte ich dann bei Kalimash die SH5 über Fushe-Arrez bis Shkodra fahren. Meine beiden Wunschziele in diesem Jahr sind die Koman-Fähre und das Valbona-Tal. Eigentlich wollte ich noch eine ganz spezielle Schotterpiste im Süden des Landes durch die Berge nehmen, aber das hat diesmal wegen der geschlossenen Grenze in Griechenland nicht geklappt und ich musste dann über Mazedonien ausweichen. Vielleicht wird bald noch ein dritter Besuch in Albanien nötig, was ich gerade mit Freude feststelle.
Aber zurück zum Tagesprogramm. Jetzt will ich über möglichst kleine Strassen nach Shkodra, da ich von dort morgen in aller Frühe zur Komanfähre weiterfahren will. Und bevor ich nun die neue Autobahn etwas weiter südlich nehme, fahre ich lieber die SH5, obwohl ich die bereits von meinem letzten Besuch kenne.
Es ist schon wieder richtig heiss. Zwar nicht die 40 Grad wie beim letzten Mal, aber 35-37 Grad zeigt mein Bordthermometer jetzt an und ich bin ganz froh, dass ich reichlich Trinkwasser dabei habe.
Die SH5 haben sie in der Zwischenzeit an vielen Stellen ausgebessert und teilweise ist der Asphalt auf Kilometern erneuert worden.
Als Zwischenziel habe ich wieder den Steinknacker eingeplant. Dort hatte ich beim letzten Besuch etwas hinterlegt und bin nun neugierig, ob es noch da ist und ob sich noch andere Motorradreisende verewigt haben.
Die gelbe Anlage liegt immer noch so einsam und vor sich hin rostend am Wegesrand wie vor vier Jahren.
Ich schaue mich um und finde, es sieht alles so aus wie ich es kenne. Dann klettere ich auf den grossen Eisenkorb und schaue mal ins Versteck: Alles weg, nichts mehr da, schade. Da liegen nur noch ein paar Steine rum und ich vermute, es ist doch nicht einsam genug und vielleicht haben Kinder beim spielen die Sachen gefunden.
Die Stelle hier ist trotzdem gut und ich mache in der Umgebung neue Fotos, bis auf einmal ein Junge hinter mir steht. Er ist neugierig was ich hier mache und wir versuchen ein Unterhaltung. Mangels Alternativen versuche ich es auf Englisch, er scheint auch ein paar Worte zu verstehen und interessiert sich vor allem für mein Motorrad. Er heisst „Lindi“ und wohnt hier in der Nähe in der Bergen.
Irgendwann denke ich, wenn er so vom Moped fasziniert ist, solle er aufsteigen und vielleicht hat er Spass wenn er ein Foto bekommt? Die Jungs hier haben bestimmt auch immer ein Smartphone dabei und klar, auch er hat seines in der Tasche und ich mache damit ein „Beweisfoto“, wie er auf dem Motorrad posiert.
Lindi scheint happy zu sein und entdeckt meine Landkarte im Tankrucksack. Ich zeige ihm darauf die Route, die ich bisher gefahren bin, habe aber nicht den Eindruck er könne mir folgen. Vielleicht kann er auch mit der Papierkarte nicht viel anfangen?
Ich zeige ihm aber trotzdem den Weg auf der Karte und er ist offenbar interessiert daran. Vielleicht kann ich bei ihm ja auch den Reisewunsch oder das Motorradfieber wecken?
Bei unserer Verabschiedung schaut er dann die ganze Zeit lang zu, wie ich alles wieder verstaue und den Motor starte. Als ich losfahren will grinst er, hebt seine rechte Hand mit einem Daumen hoch und ruft „Respect“! Ich habe den Eindruck, das war seine beste Möglichkeit sich zu bedanken und es kam so ehrlich rüber, dass ich noch eine ganze Zeit darüber nachdenke. Die Voraussetzungen für Lindi sind hier in den albanischen Bergen bestimmt nicht so ideal wie in Mitteleuropa beziehungsweise in der EU und ich hoffe, er bekommt eine Chance.
Ich fahre weiter und geniesse das albanische Hinterland in der gleichen Weise wie beim letzten Besuch. Das Motorrad lasse ich einfach durch die endlosen Kurven, Berge und Täler laufen. Andere Fahrzeuge sieht man hier so gut wie nie und ich denke, in den nächsten Stunden dürften es weniger als zehn gewesen sein, die mir begegnet sind.
Die einzigen Menschen, die ich mal bemerkt habe, war eine Gruppe Bauarbeiter, die hier neue Leitplanken angebaut haben. Ansonsten zeichnet sich der Tag durch sehr viel Ruhe, sehr viel Gegend und sehr viel Entspannung aus.
Auf einigen Kilometern scheinen sie hier Glasfaserkabel zu verlegen und dazu ist die Strasse auf meiner Seite längs aufgeschnitten worden. Die offene Rinne haben sie dann aber nur notdürftig wieder verschlossen und ich versuche es zu vermeiden, da reinzufahren.
Man ist hier aber ohnehin gut beraten aufmerksam zu sein. Tiefe Löcher mitten in der Strasse sind hier völlig normal und ein komplettes Vorderrad, wenn nicht gar ein ganzes Motorrad, lassen sich darin ohne Probleme versenken.
Für Spielereien gibt es ebenfalls reichlich Gelegenheiten und die Schotterstrecken führen dann meistens mit mehreren Flussquerungen hoch in die Berge und enden dann irgendwo im Nichts.
Auch hier fällt es mir wie immer schwer, diese Gelegenheiten auszulassen.
Dann komme ich an die Stelle, an der schon beim letzten Mal der Bestatter sein „Geschäft“ hatte. Es sieht noch genau so aus wie damals, nur sein Firmenfahrzeug hat er offensichtlich „erneuert“.
Sogar das orange Coupe stand vor vier Jahren hier oben, erscheint mir jetzt aber wieder fahrbereit. Als ich es das letzte Mal gesehen habe, war der Vorderwagen noch reichlich „zerfleddert“.
Es sind mittlerweile 38 Grad, trotz der Höhe hier und meine Konzentration lässt nach. Das ist nicht gut, denn hier ist nichts. Ich muss schon bis Shkoder weiter, um irgendeine Infrastruktur zu finden. Also langsam fahren, mehr Pausen einlegen, vorsichtig sein und viel trinken.
Am Nachmittag fahre ich in der sengenden Sonne oben auf einem Bergrücken, als ich einen Wanderer passiere, der mit einem grossem Rucksack mutterseelenallein hier am Strassenrand läuft. Ich bin neugierig und muss anhalten. Während ich denke, ich selbst sei von der kernigen Sorte, so alleine bei diesen Temperaturen in Albanien, scheint es Menschen mit sehr viel mehr Abgeklärtheit und Ausdauer zu geben.
Ich frage ihn daher voller Verwunderung, ob er das hier freiwillig macht oder ob er etwas braucht? Wasser zum Beispiel, welches ich reichlich dabei habe. Damit treffe ich ins Schwarze, denn mit seinem Wasservorrat war er heute sehr sparsam, alleine schon aufgrund des Gewichts. Er nimmt dann eine meiner Flaschen dankend entgegen und leert sie auch in wenigen Sekunden.
Er ist aus Russland, heisst „Andrej“ und ist schon seit Wochen zu Fuss unterwegs um den Balkan zu besuchen. Wir sprechen dann über unsere Routen und Pläne und wie schön es ist, alleine unterwegs zu sein und wie viele Menschen man dabei kennenlernt. Was mir bei Andrej besonders auffällt, ist sein extrem gute Laune, trotz der enormen Hitze hier, die seinen Gewaltmarsch sicher nicht angenehmer macht. Seiner Stimmung scheint das aber überhaupt nichts auszumachen, im Gegenteil, er hat keinen konkreten Plan wie lange er noch so weiterlaufen will und meint, das geht einfach so lange, wie es ihm Spass macht. Irre!
Ich verabschiede mich mit meiner letzten Null-Fünfer-Wasserflasche, die er bestimmt besser gebrauchen kann. Mit meinem Restvorrat komme ich locker noch über den Tag.
Aber als ich wieder auf der Strasse bin, schwanke ich zwischen Erstaunen und Ehrfurcht, angesichts der Motivation, mit der Andrej unter diesen Bedingungen durch die Gegend läuft und dabei offensichtlich in seinem Element ist. Oft höre ich Verwunderung, wenn jemand in Deutschland erfährt, wie und wo ich mit dem Motorrad unterwegs bin. Sie müssten Leute wie Andrej sehen, gegen ihn bin ich Luxusreisender!
Meine restliche Route durch die Berge ist vor allem einsam. Andere Fahrzeuge sind hier so selten wie Tankstellen. Die gibt es in Albanien sonst reichlich, aber hier auf der SH5 sollte man besser mit vollem Tank unterwegs sein.
Etwa zehn Kilometer vor Shkodra wird es dann flacher und ich bin froh, dass ich mein Tagesziel jetzt bald erreicht habe. Da ich beim letzten Mal so gut mit dem Hotel Bicaj zufrieden war, verzichte ich auf Experimente und steuere das Haus einfach wieder an.
Das Hotel erreiche ich am späten Nachmittag und sie haben wieder genau das gleiche schöne Appartement für mich, wie beim ersten Aufenthalt.
Diesmal checkt mich „Eddi“ ein und wir trinken auf der Terrasse zunächst ein wohltemperiertes Bier. Eddi sagt, er ist seit etwa einem Jahr hier angestellt und eigentlich ganz zufrieden. Immerhin hat er einen Job, während der Tourismus in Albanien unter der Situation auch enorm gelitten hat. Das ist nicht gut, denn Albanien war auch zuvor nicht das klassische Urlaubsziel der Europäer. (Ganz zu unrecht, wie ich übrigens finde!)
Ich mache mich dann auf in die Innenstadt von Shkodra und will eigentlich nur etwas essen und ein bisschen die Stadt anschauen. Das mit dem Sightseeing klappt, das mit dem Essen heute nicht so richtig, was aber eher an mir liegt. Grillfleisch steht gerade nicht auf meiner Wunschliste, aber das lieben sie hier. Ich finde dann einen kleinen Supermarkt und fülle meine Vorräte für den nächsten Tag auf.
Ein paar albanische Lek habe ich noch vom letzten Besuch, weil ich damals 100 Euro getauscht hatte und das Geld dann gar nicht komplett losgeworden bin.
Am Bicaj komme ich deshalb noch deutlich vor Einbruch der Dämmerung wieder an. Eddi sitzt immer noch an der Rezeption und hat offenbar Langeweile, denn ausser mir gibt es als Gäste nur ein Ehepaar aus Polen und ein etwas jüngeres Paar, welches englisch spricht, wobei sie mir aufgrund des Dialekts deutsch erscheint, er ist vermutlich Amerikaner.
Eddi ist froh über die Abwechslung und ich soll mich wieder zu ihm auf die Terrasse setzen. Er würde liebend gerne sein eigenes Business hier in Albanien aufbauen, idealerweise mit einem Gästehaus für Touristen. Ich frage ihn, ob er in Shkodra wohnt, was er aber verneint. Sein Elternhaus liegt etwas abseits der berüchtigten Theth-Südroute, die ich zum Teil kenne. Das ist natürlich hart, aber dort würde er gerne das Gästehaus betreiben.
Theth ist eine Legende, wobei die Nordroute nicht ganz so extrem ist wie die Südroute. Das dürfte vielleicht Eddis Problem sein. Die Südroute fahren nur sehr wenige Reisende und dort dürften nicht so oft geeignete Übernachtungsgäste entlangkommen, es sei denn, man steckt in Schwierigkeiten und benötigt Hilfe. Das kann dort allerdings schneller passieren viele glauben.
Nur: Ein Gästehaus abseits der Südroute und dann noch eine halbe Stunde auf einem Trampelpfad den Berg hinauf, dürfte auch bei einer wohlwollenden Machbarkeitsanalyse wenig aussichtsreich sein. Ich hoffe, Eddi verzeiht es mir, dass sich meine Euphorie für seinen Businessplan gerade Grenzen hält.
Da Eddi meine Einschätzung unbedingt wissen will, versuche ich es möglichst diplomatisch. Ich möchte ihn aber auch nicht bestärken, das wäre nicht ehrlich. Am Abend erfahre ich dann noch, dass Albanien in Sachen Tourismus alles auf die Theth-Karte setzt und die Nordroute jetzt angeblich durchgehend asphaltiert ist. Das finde ich alles andere als gut, denn Theth war gerade wegen der wilden Strecke eine der letzten echten Herausforderungen. Wenn sie die Route jetzt aber asphaltiert haben, fahren dort vermutlich auch schon Wohnmobile runter. Dann wird es unten im Tal wohl nicht lange bis zu den ersten Hotels dauern. Einerseits kann ich es verstehen, andererseits finde ich es sehr, sehr schade! Das ist dann das Ende für Theth und seinen Mythos.
Eddi favorisiert ohnehin das Valbonatal. Er meint, das ist noch schöner als Theth und ich bin ganz froh, dass mein Wunsch für einen Besuch in diesem Jahr von ihm bestärkt wird.
Später kommt dann noch das deutsch-amerikanische Paar hinzu und wir haben einen sehr unterhaltsamen Abend auf der Terrasse des Bicaj. Das Pärchen ist mit dem Mietwagen in Albanien unterwegs und will vor allem in den Bergen wandern.
Der nächste Morgen bietet mir nur ein Behelfs-Frühstück, denn ich muss richtig früh raus und trinke bereits um 7 Uhr meinen Abschieds-Espresso in Shkodra. Die Koman-Fähre wird um 8:30 Uhr ablegen und dann muss ich schon am Stausee sein.
Nachdem ich vom Parkplatz des Bicaj runter bin, fahre ich bei schon kuscheligen 30 Grad die erste Tankstelle an. Meine GS ruft mal wieder nach einer neuen Füllung. Die eine Station am Ortsausgang hat erfreulicherweise schon geöffnet und es ist auch ein Tankwart da. Nach einem Blick auf mein Kennzeichen ruft er „Germania“ und reckt den Daumen in die Höhe. Wenn der wüsste…
Der Liter Benzin kostet hier gerade 165 albanische Lek, was circa 1,35 EUR entspricht. Die Bezahlung will ich per Kreditkarte erledigen, weil das normalerweise überall problemlos möglich ist. (Ich habe mir dazu kürzlich ein Fremdwährungskonto bei Transferwise bzw. jetzt „Wise“ eingerichtet, weil die zu viel besseren Konditionen umrechnen als die normalen Banken. Das ist im Nicht-Euro-Raum durchaus praktikabel und funktioniert erfreulich gut)
Das Kreditkartenterminal hängt nahe der Zapfsäule an seinem eigenen Stromkabel. Das Stromkabel wiederum hängt am Netzteil, welches in einer kaputten Steckdose klammert, der ich schon lange nichts mehr mit gutem Gewissen anvertraut hätte. Diese fragile Steckdosen-Netzteil-Kabel-Terminal-Kette wäre ein Musterbeispiel dafür, wie man Fehlerquellen kaskadiert.
Das Display des kleinen Terminals flackert also nur ab und zu und fleht um eine stabile Stromversorgung. Der Tankwart will nun meine Karte haben, um den Bezahlvorgang durchzuführen, aber das Terminal kann in diesem Zustand unmöglich einen vollständigen Transfer quittieren, ständig beginnt das Ding mit einem Neustart. Das versuche ich ihm auch freundlich klarzumachen, aber ich dringe nicht durch.
Er will mir erklären, dass meine Karte nicht funktioniert, ich im Gegenzug, dass sein Terminal das Problem ist. Leider finden wir nicht zueinander. Ich finde aber noch eine 10 Euro-Note und ein paar albanische Scheine und damit ist er dann zufrieden. Euro-Scheine werden in Albanien gerne genommen. (Ich möchte nicht darauf wetten, wie lange noch)
So schaffe ich es also mit frischem Sprit versorgt in Richtung Komansee und bin schon in freudiger Erwartung. Das Ticket für die Fähre habe ich gestern Abend im Hotel online gebucht, denn die Fähre ist recht klein und ich möchte nicht am See stehen und wegen einem vollen Boot umkehren.
Die Komanfähre ist eines der besonderen Highlights in Albanien. Sie fährt auf dem gleichnamigen Komansee, der in den achtziger Jahren durch den Bau der Staumauer entstand. Es gibt heute zwei Fähren, von Koman nach Fierza und zurück, welche die gut 30 Kilometer lange Strecke auf dem See in zweieinhalb Stunden zurücklegen.
Leider hatte ich bei meinem ersten Besuch in diesem tollen Land keine Gelegenheit, die Fahrt auf dem Komansee zu geniessen. Aber diesmal will ich Albanien nicht ohne diesen besonderen Trip verlassen!
Auf dem ersten Stück meiner Fahrt nach Koman durchquere ich einen Nadelwald, etwas oberhalb eines Sees und es riecht wie nach einem frischen Sauna-Aufguss, allerdings verhält sich auch die Temperatur heute morgen wieder ähnlich.
Route und Strasse dorthin sind abenteuerlich und alles was man darüber hört, stimmt! Und das meine ich positiv, denn die Gegend hier könnte nicht typischer dieses wunderschöne Land wiedergeben. Mein Durchschnittstempo muss ich allerdings deutlich reduzieren. Der Zustand der Strecke ist, hmm, eben albanisch.
Für die Strecke bis Koman habe ich eineinhalb Stunden kalkuliert und ich komme damit so gerade eben hin. Besonders jetzt am Morgen hat das alles seinen Reiz. Albanien scheint mir manchmal um Jahrzehnte zurückversetzt, was vorrangig an der Infrastruktur liegt. Auch hier hat der Kommunismus seine Spuren hinterlassen und das Land gehört zu den ärmsten Staaten Europas. Das wird noch sehr lange dauern, bis die Schäden beseitigt sind, aber ich mag Albanien trotzdem sehr.
Der Ort Koman besteht nur aus ein paar wenigen Häusern und es gibt nicht viel dazu zu sagen. Am Ortsausgang fährt man in einen Tunnel, der auf die andere Seite des Stausees führt, von dort legt dann die Fähre ab.
Die Auffahrt auf die Fähre gestaltet sich leicht chaotisch, weil sie die Platzierung der Autos zwar gut hinbekommen, die Anweisungen zum Einparken des Motorrad aber nicht so funktionieren wie gewünscht. Ich bleibe ausnahmsweise mal ruhiger als sonst, denke mir meinen Teil und frage nur, wo sie mich und die Maschine den hin haben möchten. Die Art und Weise, wie ich meine Maschine in die gewünschte Position manövriere, entscheide ich doch lieber selbst. (Ich muss die 250 Kilo plus Gepäck schliesslich auch bewegen…)
Dann ist aber alles vollbracht und ich stelle die GS neben das Motorrad eines jungen Paars aus Ungarn. Insgesamt zähle ich 13 Autos und 4 Motorräder auf unserem Boot, welches damit auch komplett voll ist. Die Onlinebuchung gestern Abend war also eine gute Entscheidung.
Als alles passt bin ich dann froh, mich aus den Klamotten zu schälen. Ohne Fahrtwind ist Motorradkleidung ja nicht so angenehm. Jetzt ist zunächst Entspannung angesagt, viel gucken und Fotos machen, viiieeele Fotos!
Nebenan liegt eine weitere Fähre, auf der auch eine Gruppe Motorradfahrer unterwegs ist. Die Passagiere auf diesem Boot machen auf mich aber einen leicht genervten Eindruck und das Schiff liegt immer noch am Anleger, als wir schon längst auf dem See unterwegs sind. Dass die Boote hier mit technischen Problemen kämpfen, habe ich von anderen Reisenden schon gehört. Offensichtlich war meine Wahl heute die Richtige…
Meine Aufmerksamkeit erregt ein weiteres Boot nebenan. Auf den ersten Blick ist es eine reine Passagierfähre, auf den zweiten Blick kommt mir aber irgendetwas ungewöhnlich vor.
Zunächst erkenne ich die seltsame Front des Aufbaus, danach schaue ich mir diesen von der Seite an. Die haben da tatsächlich einen alten Reisebus aufgeschnitten und dann auf das Deck eines Stahlschiffs geschweisst. Auf so eine Idee muss man erstmal kommen!
Dann geht es aber los und hier am Koman-Anleger sind noch ein paar kleinere Boote unterwegs, welche die übrig gebliebenen Touristen ein paar Meter Flussaufwärts fahren. Es sind vor allem die, die keinen Platz mehr auf der Fähre gefunden haben.
Die „Bus-Fähre“ legt fast zeitgleich mit uns ab und transportiert ausschliesslich Einheimische über den langen Stausee. Abseits des Tals gab es viele Dörfer oben in den Bergen und diese wurden durch das Aufstauen praktisch von der Aussenwelt abgeschnitten. Diese Bergdörfer sind heute nur noch mit diesem Boot und einem dann folgenden, beschwerlichen Aufstieg erreichbar.
Ich beobachte, wie die Busfähre an Stellen anlegt, an denen ich niemals einen Halt vermutet hätte. Die Albaner gehen dort mit ihren sieben Sachen von Bord und machen sich auf die langen, steilen Weg hinauf in die Berge und man kann sie noch lange zwischen den Bäumen auf dem Weg nach oben verfolgen. Was für ein Aufwand!
Auch unser Boot hält einmal an einer Biegung des Sees, an der ich in Ufernähe eine Art Feriensiedlung erkenne.
Die Ladeluke klappt dann einfach an den felsigen Ufer herunter und ein paar Menschen verlassen das Schiff. Das sieht hier alles noch sehr improvisiert aus.
Dann geht es weiter auf dem See. Die steilen Felsen, die links und rechts unserer Route aufragen, werden immer höher und die Kulisse hier ist wirklich atemberaubend. Alles, was man über die Komanfähre hört oder liest stimmt und ich bin total glücklich, dass ich die Tour mit dem alten Kahn unternehmen darf.
In den nächsten Stunden stehe ich mehrmals fassungslos an der Reling und staune über diese wunderschöne Landschaft, die hinter jeder Biegung neue Perspektiven bietet.
Die Komanfähre ist in Albanien ein Muss und wenn du jemals hierher kommst, buche dir unbedingt eine Fahrt. Es lohnt sich in jedem Fall!
Manchmal kann man in der Ferne schon die aufragenden Gipfel des Valbonatals sehen. Es ist so hoch, dass oben immer noch Schnee liegt, dabei ist es Hochsommer und die Temperaturen hier unten auf der Fähre bewegen sich schon wieder in Richtung 40 Grad.
Bei Fierza ist dann die Fahrt zu Ende, dabei sind die Stunden für mich viel zu schnell verflogen. Wir legen an der linken Seite des Sees an und auch hier hält die Fähre einfach an den Felsen, es gibt kein befestigtes Ufer oder einen Anleger aus Beton. Dort, wo die Klappe herunter sinkt, geht es über den Schotter in Richtung Strasse.
Hier fahre ich nun auf die SH22 in Richtung Norden und damit weiter zum Valbonatal.
Auf dem Weg komme ich an einem imposanten Denkmal aus den zweiten Weltkrieg vorbei. Die verlassene Anlage ist in diesem typischen sowjetischen Stil erreichtet und hat wahrscheinlich glanzvollere Zeiten gesehen. Wenn man die Stufen hochgeht, möchte man in Gedanken immer noch rote Fähnchen schwenkende Menschen auf den Stufen sehen.
Die Anfahrt zum Valbonatal ist dann nicht weniger beeindruckend als die Fahrt auf der Komanfähre. Das Valbonatal wird zum Ende immer schmaler und höher, die Strasse immer kleiner. Das Tal endet als Sackgasse und man kann jetzt nur noch zu Fuss weiter über einen winzigen, hohen Pass in Richtung Theth.
Auf meiner Fahrt in das Tal denke ich darüber nach, dass mich die Wanderung durchaus reizen würde. Die Tour gehört zu den „Peaks of the Balkans“ und gilt unter Kennern als Höhepunkt. Ich schreibe das als Aufgabe auf meine Todo-Liste, für die Zeit, in der ich nicht mehr Motorrad fahren kann (oder fahren darf).
Am Eingang zum Tal erlebe ich die Strasse in ganz ordentlicher Verfassung. Offenbar investieren sie nicht nur in Theth, sondern auch hier.
Das erfreulich gepflegte Asphaltband währt aber nicht lange. Schnell geht es dann wieder etwas wilder zu, mit felsigen Gebirgsbächen, Brücken und Schluchten.
Immerhin passiere ich einen Neubau, der mal ein Hotel werden möchte und den obligatorischen Bunker in das Areal integriert. Vielleicht hatten sie aber noch keine Zeit, das Relikt aus alten Tagen wegzubaggern?
Am Ende des Tals ist dann Schluss mit der Strasse. Es gibt ein paar Holzhütten und Schilder zu Campingplätzen, aber dort steht jetzt, mitten im Sommer und zur definitiv besten Reisezeit kein einziges Zelt, kein Caravan, kein Fahrzeug.
Touristisch ist es hier gerade ausgestorben und ich bin angesichts der Einsamkeit wirklich überrascht. Ausser ein paar Handwerkern, die sich mit dem Dach einer Hütte beschäftigen, kann ich nirgendwo weitere Menschen sehen und schon gar keine Touristen.
Ich nehme an, wenn ich nun mit dem Motorrad weiterfahre, werde ich niemanden stören, also wage ich mich Offroad weiter vor.
Irgendwann ist dann aber Schluss. Die Möglichkeit zur Weiterfahrt endet in einem breiten Flussbett, in dem die Steine unter den Rädern immer grösser werden und ein Weg nicht mehr erkennbar ist.
Ich muss es nun so sagen wie es ist: Atemberaubend!
In der Ferne sehe ich noch ein letzte Hütte im Wald zwischen den Bäumen, ansonsten fällt mir für diesen Platz nur eine einzige passende Beschreibung ein: Das Ende der Welt.
Das Motorrad stelle ich genau an der Stelle ab, an der ich mich in völliger Einsamkeit und Stille um die eigene Achse drehe und mein Glück wieder einmal nicht fassen kann.
Vielleicht schaffe ich es irgendwann, einen solchen Moment einzufangen, mit einem Foto zu konservieren oder die passenden Worte zu finden.
Jetzt gerade sind es immerhin schöne Bilder und ein mühsamer Versuch, meine Gedanken zu beschreiben, aber bis zum Einfangen der Wirklichkeit wäre immer noch ein weiter Weg, dazu reichen meine Fähigkeiten nicht aus.
Ich mag die Alpen, wirklich. Aber das hier ist eine andere Liga, gleich aus mehreren Gründen. Solltest du jemals die Möglichkeit haben, hierher zu kommen, lass sie nicht verstreichen. Du wirst jede Minute geniessen, aufsaugen, konservieren. Dabei liegt das hier nahezu vor der mitteleuropäischen Haustür. Falls du also Berge magst, wunderschöne Landschaften, einsame Täler und das schönste GS-Land, welches du dir vorstellen kannst: Fahre nach Albanien!
Ich überlege jetzt, hier den Tag zu beenden, mir eine Hütte zu suchen und eine Wanderung zu starten, fürchte aber, meine Ausrüstung ist für eine gescheite Trekking-Tour nicht passend. Ich habe zwar keine klassischen Motorradstiefel an und kann auch mal ein paar Schritte in meinen Daytona-Boots gehen, aber die Nummer hier oben ist ganz sicher ein anderes Kaliber. Da wäre eine passende Wanderausrüstung sicher nötig.
Wie schon gesagt: Das kommt auf meine Aufgabenliste!
Zum Schluss erfreue ich mich nochmal bei Anblick von ein paar Jugendlichen, welche der Hitze durch einen gekonnten Sprung in die erfrischenden Fluten der Valbona entkommen und ihr Leben gerade wohl auch so geniessen wie ich. Was für ein Tag!
Meine Bestimmung ist nun die Weiterführung des Reiseplans und der Verbleib oberhalb eines Verbrennungsmotors, es gibt Schlimmeres! Für mich ist nun die Stadt Peja im Kosovo der nächste Navigationspunkt.
Peja liegt ganz in der Nähe der Rugova-Schlucht, die in Richtung Westen zum Cakor-Pass führt. Den Cakor-Pass bin ich damals (2017) von der anderen Seite, aus Richtung Velika in Montenegro angefahren, musste dann aber unten im Tal an der Panzersperre aufgeben. Die Sperre trennt Montenegro und den Kosovo und ist sozusagen eine Grenzbefestigung. Jetzt weiss ich nicht, was hinter der Panzersperre ist und das macht mich irre, das ist ein Punkt auf meiner Aufgabenliste, den ich nicht zu Ende gebracht habe. Das kann man doch so nicht stehen lassen?!
Peja ist nicht weit und die kleine Strasse führt mich abermals hinauf zur nahen kosovarischen Grenze am Übergang bei Tropoja.
Die Grenze ist wieder völlig unkompliziert und es gibt auch kein Problem mit dem Motorrad, ich bin hier schon mit dem Vorzeigen meines Reisepasses durch. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Als Tourist kommt man in der Regel überall gut klar, aber nur solange kein Fahrzeug dabei ist. An Grenzübergängen ausserhalb der EU kann das auch schon mal komplizierter sein, was dann in der Regel darin endet, dass man wesentlich mehr Zeit für die Formalitäten braucht.
Aber jetzt bin ich wieder im Kosovo muss mich nicht gross umgewöhnen. Es ist immer noch recht bergig und landschaftlich schön.
Man darf sich nur nicht verwirren lassen. An den vielen Gedenkstätten anlässlich des Kosovokrieges Ende der neunziger Jahre weht hier häufig die albanische Fahne und nicht die offizielle Flagge des Kosovo.
Insgesamt ist die Menge an Kriegsgräbern und Kriegsdenkmälern hier aber wirklich bedenklich und hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Dann geht es weiter über die Orte Ponoshec und Decan in Richtung Peja. Es gibt noch ein paar kleine Bauerndörfer auf dem Weg, ansonsten nur Wiesen, Felder und Wald.
Als ich im Süden von Peja den Ortsrand erreiche, fahre ich am KFOR-Kontingent vorbei. Hier befindet sich das Militärcamp „MNTF West“ unter italienischer Führung, welches im UN-Auftrag die Sicherheit im westlichen Kosovo gewährleisten soll.
Zuletzt wurden die Truppen sukzessive reduziert, aber viele trauen dem Frieden nicht so richtig über den Weg. Im Norden des Kosovo gibt es weiterhin Differenzen zwischen Albanern und Serben, das hat auch meine Route beeinflusst. Ein Einreise von Albanien in den Kosovo mit nachfolgender Ausreise vom Kosovo nach Serbien, sollte man tunlichst vermeiden, aber Serbien ist diesmal nicht Bestandteil meiner Reiseroute.
Ich fahre dann durch die City von Peja, in der dichter Verkehr herrscht. Peja hat knapp 50.000 Einwohner und der Eingang zur Rugova-Schlucht liegt am westlichen Ortsrand.
Schon wenige Meter nach Verlassen der kleinen Stadt befinde ich mich wieder in der ebenso schlichten wie schönen Natur. Hier hat ein Fluss für einen tiefen Canyon zwischen den steilen Felswänden gesorgt und ich bin schon wieder hin und weg.
Die Strasse führt durch dunkle Tunnel und enge Serpentinen und der Belag zeugt von harten Wintern mit entsprechender Einwirkung auf die Oberfläche: Schlaglöcher gibt es reichlich.
An einer besonders imposanten Stelle haben sie eine Aussichtsplattform aus Glas gebaut, die bei den Einwohnern Pejas recht beliebt für Selfies ist. Irgendwelche Vandalen haben sich an der Konstruktion allerdings zu schaffen gemacht und sowohl die Stahlträger, als auch die Glasscheiben sind stark beschädigt, woraufhin die Plattform gesperrt wurde. Naja, es sieht nicht so aus, als ob sich jemand daran stört…
Hier, nahe Peja, ist es noch ziemlich touristisch. Wenige Meter weiter hat jemand ein nagelneues Hotel gebaut, dessen Art und Ausstattung auch gut nach Kitzbühel passen würde. Mangels Touristen gibt es gerade aber weder Personal noch Gäste.
Mein Ziel liegt noch etwa 15 Kilometer weiter. Ich kann das nicht genau bestimmen, da mein Navi das Routing verweigert und ich mangels Mobilfunkverbindung auch nicht Tante Google fragen kann, also fahre ich einfach der Nase nach.
Das könnte hier landschaftlich auch im Schwarzwald sein, so dicht ist dann weiter oben die Bewaldung. Am Ende lande ich in Boge, dem letzen „Ort“ den man hier mit Motorkraft erreichen kann und das sichere Zeichen für mich, dass ich falsch bin.
Da muss vorher ein Abzweig zur alten M9 gewesen sein, denn die M9 führt zum Cakor-Pass. Wie konnte ich das verpassen und wie zum Teufel bin ich jetzt in Boge gelandet? Also wieder umkehren und die Augen offen halten, irgendwo muss da noch der Weg zur M9 versteckt sein.
Einige Kilometer zurück kann ich mich selbst beruhigen: Der Abzweig ist nicht mehr als ein holperiger Waldweg und augenscheinlich alles andere als eine reguläre Verkehrsverbindung zwischen zwei Staaten in Südost-Europa. Das hervorstechende Merkmal sind zwei ordentliche Furchen links und rechts, offenbar von schwerem Motorgerät für die Waldarbeit.
Ok, hier geht es also zum Cakor-Pass? Zur anderen Seite bis zur Grenze nach Montenegro? Wirklich?
Ich versuche es und fahre die Maschine abwechselnd auf Geröll, Schlamm und Sand.
Schliesslich muss ich aufgeben und anerkennen, dass ich den Cakor-Pass auch aus Richtung Kosovo nicht passieren werde. Nicht, dass ich illegal nach Montenegro einreisen wollte, damit hatte ich schon 2017 für Diskussionen mit dem Grenzpersonal gesorgt. Aber eine – wie auch immer geartete Durchfahrt – hätte mir schon gefallen.
Jetzt belasse ich es beim finalen Stopp vor einem Übergang, der keiner ist, keine Kennzeichnung hat und schon gar nicht ein Gebäude oder einen Schlagbaum. Es gibt Quellen im Internet, die von einer geplanten Öffnung der alten Strecke sprechen. Hier und heute ist es jedenfalls nicht so und in Anbetracht des Weges auch weit von irgendeiner Planung diesbezüglich entfernt.
Immerhin kenne ich jetzt beide Seiten. Meine letzte Herausforderung ist das Wenden meines vollbepackten Motorrads ohne die ganze Fuhre mitsamt Gepäck im Dreck zu versenken. Ich lasse mir Zeit und schaffe die Aufgabe ohne weiteren Schaden, mühe mich am Ende aber durch ein Schlammbad, da immer wieder kleine Bäche über den Weg verlaufen und für entsprechende „Patina“ sorgen.
Dann geht es zurück durch die Rugova-Schlucht. Peja möchte ich mir heute noch ansehen und ich denke, in der Stadt werde ich bestimmt eine anständige Unterkunft finden.
Die Rugova-Schlucht ist übrigens genauso toll wenn man sie in der andren Richtung durchfährt… Nicht, dass ich vergesse, diese Erkenntnis zu erwähnen!
Peja als Stadt haut mich nicht vom Hocker und da sich der Nachmittag dem Ende neigt, kümmere ich mich wieder um eine Bleibe.
Ich sehe dann ein Hotel in einem höheren Gebäude an der Ausfallstrasse. Das Haus macht einen ordentlichen Eindruck, schon eher den einer gehobenen Kategorie. Mein Motorrad stelle ich unten direkt vor dem Eingang ab und gehe hinein. Unten gibt es eine Anmeldung, die ist aber unbesetzt. Offenbar ist das Haus nicht nur ein Hotel?! Die unteren Etagen bestehen aus Wohnungen und Büros, der Teil des Hotels befindet sich in den obersten beiden Stockwerken. Auf dem Tresen steht jedenfalls ein Schild, welches mir auf englisch empfiehlt, den Aufzug bis ganz nach oben zu fahren und dort an der Rezeption einzuchecken.
Das mache ich dann indem ich die Taste am Lift nebenan drücke und warte. Einen Augenblick später kommt eine Frau mit ihrer Tochter im Kindergartenalter durch den Eingang und geht ebenfalls zum Lift. Als die beiden mich sehen, werde ich eingehend gemustert. Ich sage „Hi“ und denke, ok, haben die noch nie einen Motorradfahrer gesehen? Jedenfalls vernehme ich distanzierte Zurückhaltung.
Dann ist der Lift endlich unten, die Tür geht auf und wir betreten zu dritt den Aufzug. Direkt vor mir besteht die Wand der Kabine aus einem Spiegel vom Boden bis zur Decke. Ich schaue mir also erst selbst direkt in die Augen und mustere mich dann einmal von oben nach unten: Na gut, ich verstehe!
Vielleicht, eventuell, gegebenenfalls, war meine Erscheinung vor ein paar Tagen, jedenfalls aber vor ein paar Stunden, vor Einfahrt in die dreckige Piste zum Cakor-Pass etwas gepflegter als nun hier und jetzt in diesem Aufzug. Sorry. Mich gibts sonst auch in sauber, versprochen!
Die Sache wird nicht besser als ich oben vor der Rezeption stehe. Dort sitzt eine weitere, durchaus gepflegte Dame und schaut zunächst etwas reserviert bei meinem Anblick. Leider spricht sie kein Englisch und greift zum Telefonhörer, während ich fürchte, sie ruft jetzt die schnelle Eingreiftruppe vom KFOR-Camp.
Statt einer uniformierten Einheit erscheint dann aber ein Mann um die dreissig Jahre und nimmt sich meiner an. Er heisst „Agon“ und zeigt mir gerne einen sicheren Platz für das Motorrad in der Tiefgarage des Hauses, wozu er wieder mit mir in den Aufzug steigt und den kompletten Weg begleitet.
Ich nutze die Zeit auf dem Weg nach unten und frage nach, ob das Hotel „Laundry Service“ anbietet, was er mit einem breiten Grinsen bejaht.
Nachdem das Motorrad eingeparkt ist und wir wieder oben sind, übergebe ich ihm einen Stoffbeutel mit meinen Sachen für die Wäsche. Danach beziehe ich ein sehr ansprechendes Zimmer mit toller Aussicht über Peja und nehme eine Dusche.
Nächster Punkt auf der Tagesordnung: Der Besuch der Hotelbar, ein wirklich gut gekühltes Bier und der Genuss desselben auf der Dachterrasse des Hotels. Dass ich mich gerade wieder wie ein Mensch fühle, wird mir bewusst, als die Motivation des Personals in der Zeit zwischen meinem Checkin, der Dusche und dem Kleidungswechsel offensichtlich gestiegen ist.
Agon taucht ebenfalls wieder auf und empfiehlt mir den Besuch des alten Basars im Zentrum. Der sei zwar nicht mehr so alt und urtypisch wie früher, aber den solle ich mir anschauen. Das mache ich dann auch.
Der angepriesene Basar ist eher eine Ansammlung von Geschäften mit gefälschten Markenwaren. Mit dem, was ich erwartet hatte, hat das nichts zu tun und ich denke, der gehört nicht zum Pflichtprogramm in Peja.
Peja als Stadt geht zwar in Ordnung, aber Prizren fand ich schöner, viel schöner! Ich finde dann noch ein gescheites Restaurant (Endrechnung 4,50 EUR; Der Kosovo zahlt komplett in Euro) und komme nach Sonnenuntergang wieder zum Hotel zurück.
Oben ist auf der Dachterrasse jetzt richtig Leben eingekehrt und ich geniesse die überaus gepflegtere Atmosphäre. Auch Agon ist wieder dabei und gemeinsam mit dem Barkeeper haben wir einen ausgesprochen kurzweiligen und unterhaltsamen Restabend bei reichlich Bier, Wein und Spass.
Es stellt sich heraus dass Agon Architektur studiert hat und auf der Suche nach einer Chance ist. Später sendet er mir seine Unterlagen und ich kann ihm einen Kontakt vermitteln.
Heute geht es nach Montenegro. Das Land hatte ich ebenfalls schon mal besucht und meine letzten Erfahrungen dort waren nicht so gut, was vorrangig an den Staatsdienern lag, die ein ausgeprägt einnehmendes Wesen offenbart hatten. Ausserdem war das Wetter beim letzten Mal saumässig, wofür aber das Land nichts kann.
Meine Abfahrt vom Hotel verzögert sich etwas, da meine am Vortag abgegebene Wäsche nicht auffindbar ist. Ich habe zunächst Sorge, sie hätten wegen dem bedenklichen Zustand die Dekontamination oder finale Entsorgung entschieden, aber am Ende findet sich der fertig gereinigte Beutel dann doch noch wieder.
Das nächste Hindernis an diesem Tag begegnet mir schon wenige Minuten später, als ich bei der Ausfahrt aus der Hotelgarage den losen rechten Rückspiegel bemerke. Also wieder Stopp, Werkzeug raus und fixieren.
Auf der Fahrt sieht es dann aber gut aus, denn die Sonne lacht und der Morgen in Peja ist schon wieder ordentlich warm.
Von Peja gibt es eine kurvenreiche Strasse durch den „Mali e Zhlebit“ nach Rozaje und von dort möchte in Montenegro über Andrijevica und die Hauptstadt Podgorica bis zum Meer durchfahren.
Dazu geht es nun hoch auf die wenig befahrene R106, die sich durch unzählige Kurven in Richtung Grenze schlängelt.
Da ich häufig anhalte und gerne fotografiere, werde ich von einem weiteren der unzähligen Golf II überholt. Er hätte mich allerdings auch ohne eine meiner Fotopausen, selbst auf der Strasse überholt, angesichts des Tempos mit dem er unterwegs ist.
In der Vorbeifahrt meine ich zudem einen ganz besonderen Erhaltungszustand des „Fahrzeugs“ erkannt zu haben und der „Klangteppich“ deutet ebenfalls hin auf ein enormes Improvisationstalent bei der Reparatur von mechanischen Komponenten.
Der Typ weckt meine Neugier und ich springe aufs Motorrad mit dem Versuch, ihn einzuholen und mich davon zu überzeugen, dass ich mich gerade nicht getäuscht habe.
Ich schaffe es während unseres gemeinsamen „Qualifying“ durch die Kurven des westlichen Kosovo nur ein einziges Mal, ihn während der Fahrt, sozusagen „in freier Wildbahn“ fotografisch zu erwischen. Das liegt besonders daran, dass mein Talent für den Zweirad-Rennmodus nicht sehr ausgeprägt ist und ich zudem keine Lust verspüre, mich bei einem der halsbrecherischen Versuche ihn abzulichten, auf die Schnau… zu legen.
Die letzte Gelegenheit zum „Blattschuss“ erhalte ich erst am Grenzposten des Kosovo und ich gönne ihm den Sieg! Dass ein Wagen in diesem Zustand noch zu solchen Leistungen fähig ist, verdient meinen Respekt. Gleichzeitig wundere ich mich, wie er mit so einem Kennzeichen ohne Probleme eine Grenze überqueren darf. Auch dafür verdient er meine Bewunderung!
Zwischen dem Grenzposten des Kosovo und dem von Montenegro liegen hier einige Kilometer durch den hohen Wald auf etwa 1300 Metern. Die Route ist richtig schön und besteht praktisch nur aus Kurven.
Es wird langsam Zeit, dass ich mich vom Kosovo und von Albanien verabschiede. Was mich dieses Mal in Montenegro erwartet, darauf bin ich schon gespannt. Das Land selbst ist wunderschön und hat einiges zu bieten. Die Berge und die bekannte Tara-Schlucht kenne ich schon, diesmal möchte ich vor allem auch die Küste sehen. Und wenn mich die Polizei diesmal auch noch in Ruhe lässt, wäre ich schon glücklich.
Aber das ist der Stoff für den nächsten Teil, der mal wieder ganz neue Erkenntnisse, Erfahrungen und Überraschungen bietet…
Hier gehts nach Montenegro.
Die grobe Route in Albanien und dem Kosovo:
(Hinweis: Von Koman nach Fierza will Google nicht über die Fähre routen, daher wird die Strecke in der Karte nicht korrekt wiedergegeben)
Michael 18/12/2021
Hallo Elmar,
wie immer (!) ein ganz wunderbarer Reisebericht! Für mich gehören deine Erzählungen zu den besten schriftlichen Reiseberichten, die es zu finden gibt.
Absolute Hochachtung.
Ich freue mich schon auf die kommenden.
Viele Grüße aus Hamburg
Michael
Wolfgang Friedrich 21/12/2021
Es ist immer wieder schön das es Leute gibt die sich solche Mühe geben einen Bericht zu verfassen und online zu stellen.
Wenn er dann noch dieses Literarische Format besitzt ist das ganze ein Genuss ihn zu lesen.
Vielen Dank dafür.
Freu mich auf die Fortsetzung.
Kraichgauer
Anonymous 22/12/2021
merci beaucoup
Einar 22/12/2021
Vielen Dank! Sehr schön be(ge)schreiben, macht Spaß da mal selber hinzufahren. Wir planen für 2022… 🙂